Herold Belger


Herold Karlovich Belger wurde am 28. Oktober 1934 in Engels, der damaligen Hauptstadt der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen, geboren. Sein Vater, Karl Friedrichowitsch Belger (1909-2002), und seine Mutter, Anna Dawydowna (geborene Gerter, 1910-1994), stammen aus dem Wolgadorf Mannheim im Bezirk Novouzensky in der Provinz Saratow. Nach der Bildung der deutschen Autonomie in der Wolga-Region wurde dieses Dorf Teil des Kantons Gnadenflur. Der Vater stammte aus einer bitterarmen Bauernfamilie, die Mutter aus der Familie eines Musikers und Kapellmeisters. Der Vater diente 7 Jahre lang in der Roten Arbeiter- und Bauernarmee (RKKA), absolvierte die Militärschule für Feldscher in Leningrad und Kasan und war Leiter des Gesundheitsamts des Kantons. Er lebte 32 Jahre an der Wolga, 30 Jahre in Kasachstan und 31 Jahre in Usbekistan. Er wurde als „Hervorragender Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens der UdSSR“ und als „Hervorragender Mitarbeiter im Bildungswesen der Kasachischen SSR“ ausgezeichnet.

Karl Friedrichovich wurde zum Prototyp vieler Kurzgeschichten, Novellen und Romane von Herold Belger. Er schrieb zwei Bücher über seinen Vater – „Karl Belger – mein Vater“ und „Geschichten über meinen Vater“. Die Mutter von H. Belger war seinem Vater ebenbürtig: treu, freundlich, unermüdlich und fürsorglich. Sie war eine vorbildliche Hausfrau und Krankenschwester auf der Krankenstation. Der Sohn widmete den Roman „Haus des Wanderers“ dem Andenken an seinen Vater und den Roman „Der Ruf“ dem Andenken an seine Mutter.

Über die Opfer während der Revolution von 1917 und des Bürgerkriegs in den Familien der Großväter und Großmütter väterlicher- und mütterlicherseits wusste Herold Karlovich nichts.

Gemäß dem Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28.08.1941 wurde die Familie von Karl Belger in das Gebiet Nordkasachstan deportiert. Hier wurde das Familienoberhaupt vom Bezirks-Parteikomitee in das Dorf Lenino im Bezirk Oktyabrsky abkommandiert, um die Feldscher- und Geburtshilfe-Station zu leiten. Neben seiner Arbeit im Kolchoszentrum, in dem Herolds Vater eine Lehmhütte mit eigenen Händen ausbesserte, einrichtete und ausschmückte und so in eine lokale Feldscher-Station verwandelte, musste Karl Friedrichovich allgemeine medizinische Untersuchungen der Bevölkerung durchführen, vorbeugende Impfungen machen, oft Tag und Nacht, zu jeder Jahreszeit, als „Notarzt“, zu Fuß in die nahe gelegenen kasachischen Auls gehen, um Menschen zu behandeln oder gar zu retten. Später wies ihm die Kolchose ein mageres, verschlissenes Pferd zu. Vor den Augen der Landleute heilte der Feldscher den maroden Gaul, päppelte ihn auf und verwandelte ihn in einen lebendigen und glänzenden Hengst. Er hat nie jemandem irgendetwas abgeschlagen. Er half Familien von Veteranen und alten Menschen, ihre Unterstände und Schuppen zu reparieren. Es gab sogar einen Fall, in dem er selbst eine Entbindung vornehmen musste, um eine junge Mutter und ihr Kind, den lang ersehnten Erben einer jungen Familie, vor einem gefährlichen Angriff der Ignoranz zu retten: der Feldscher war gezwungen, einen ungebildeten Mullah wegzudrängen, der leidenschaftlich versuchte, böse Geister aus der in den Wehen liegenden Frau auszutreiben. Belgers erfolgreiches Eingreifen mit glücklichem Ausgang sprach sich im gesamten Bezirk herum. Die Kasachen haben ihren Aul-„Fershel“ wie einen Verwandten liebgewonnen.

Der Krieg machte einen Halbwüchsigen zum Waisen. Der gutherzige Deutsche nahm ihn bei sich auf. Doch dann, nachdem Karl Fridrikhovich die Vorladung des Wehrkreiskommandos erhalten hatte, brachte er als erstes den Jungen in ein Internat und kam, nachdem er sich von seinen Landsleuten verabschiedet hatte, zum Sammelplatz des Bezirkszentrums, von wo er ins Arbeitslager überführt werden sollte. Doch dann wurde er unerwartet in das Bezirkskomitee gerufen und kehrte in die Kolchose zurück. Beseelt von dem Wiedersehen mit seinem geliebten Retter, verbreitete der Junge die gute Nachricht in den Aulen und erhielt dafür Suyenschi, Geschenke für die frohe Kunde, von mitfühlenden Dorfbewohnern. Aus diesem Anlass organisierten die Menschen ein Fest. Als Karl Fridrikhovich erfuhr, dass der Direktor der kasachischen Schule und die Bauern es geschafft hatten, vom Bezirkskomitee gehört zu werden, konnte er seine Tränen nicht zurückhalten. So erfüllte er hervorragend seine „Arbeitsarmee“-Pflicht im Dienste der Gesundheit der Kasachen, mit denen das Schicksal ihn verbunden hatte.

Ganz offensichtlich veranlasste der dringende Bedarf an einer solchen Fachkraft die örtlichen Behörden, die strengen Vorschriften für deportierte Deutsche zu umgehen und das Ehepaar Belger nicht in die „Arbeitsarmee“ zu schicken. Dies war eine seltene Ausnahme und ein großes Glück für die Familie.

In Lenino kam der zehnjährige Herold 1944 in eine kasachische Schule, die er 1953 abschloss. Anschließend arbeitete er ein Jahr in einer Dorfschule, danach, im Jahr 1954 (noch vor Aufhebung des Kommandantur-Regimes) begann er ein Studium an der Fakultät für Literatur in der russisch-kasachischen Abteilung des Kasachischen Pädagogischen Institut in Alma-Ata, das er 1958 erfolgreich abschloss. Nach seinem Abschluss arbeitete er an der Mittelschule in Baikadam (1958-1960), danach absolvierte er ein dreijähriges Postgraduiertenstudium am Lehrstuhl für Methodik des nach Abay benannten Kasachischen Pädagogischen Instituts. Als nächstes arbeitete Belger zwei Jahre lang für das Magazin „Zhuldyz“. Die nächsten 30 Jahre war er freischaffend im Kulturbereich tätig (1964-1994). 1994 wurde G. Belger zum Abgeordneten der XIII. Legislaturperiode des Obersten Sowjets von Kasachstan gewählt. Danach kehrte er zu seiner künstlerischen Arbeit zurück, die er noch immer ausübt.

Belger war immer schon ein sozial und gesellschaftlich aktiver Mensch, Mitglied aller Arten von Gremien, Räten, Ausschüssen und Kommissionen. Er wurde für sein gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet, ist Preisträger vieler gesellschaftlicher, literarischer und journalistischer Preise (Preisträger des Kasachischen Staatspreises für Frieden und geistige Eintracht, des kasachischen PEN-Clubs, des Schriftstellerverbandes Kasachstans, weitere Ehren-Preise: „Tarlan“, „Altyn Samruk“, „Svoboda“ usw.). Er ist Verdienter Kulturarbeiter Kasachstans, Träger des Parasat-Ordens (Nr. 1) und einer Reihe von Medaillen.

Herold Karlovich ist Autor von 45 Büchern und über 1600 Publikationen, er schrieb 2000 Rezensionen. Dutzende Bände kasachischer Prosa sowie „Das Haus des Wanderers“ wurden von ihm aus dem Kasachischen ins Russische übersetzt. Über ihn wurden 3 Dissertationen, 2 Monographien, ca. 400 Artikel geschrieben und Dokumentarfilme gedreht.
Belger war immer lebhaft am Leben der deutschen Volksgruppe in der UdSSR interessiert und unterstützte alle ihre Initiativen, die auf die Wiederherstellung des Vorkriegsstatus der Sowjetdeutschen und ihre Rehabilitierung abzielten.

Er war Mitglied der vierten und fünften Delegation der deportierten Russlanddeutschen, die sich 1988 beharrlich für die Rehabilitation einsetzten. Später wurde er Delegierter aller nationalen Kongresse der Deutschen der UdSSR und Kasachstans.

Herold Karlovich scheute sich nie, selbst kontroverse Fragen, die in der nationalen Bewegung seines Volkes aufkamen, zu diskutieren, und seine Argumente hatten immer die verdiente Aufmerksamkeit und Gewicht. Leider haben die Regierungen der ehemaligen UdSSR und Russlands den 1988-1992 begonnenen Rehabilitationsprozess nicht zu einem fundierten Abschluss gebracht, und die heutigen Entscheider in Russland und Deutschland einigten sich auf eine Art Kompromiss, um dieses Problem von der Tagesordnung zu streichen.

Belger ging der Zusammenbruch der Hoffnungen und die Gleichgültigkeit der Mächtigen gegenüber dem nationalen Problem seines Volkes sehr nahe. Den Massenexodus der Deutschen nach Deutschland betrachtete er nie als Lösung für die nationale Frage, obwohl er sich auch nicht berechtigt sah, sich diesem Ausdruck ihres Willens entgegenzustellen. Er setzt sich weiterhin für die Rechte der Russlanddeutschen ein und ist gegen die Idee ihrer Assimilation in Deutschland unter dem Deckmantel der Integration. Gerold Karlovich betrachtet die Russlanddeutschen als eine Ethnie eigener Art, und die Ablehnung ihrer russischen oder deutschen Wurzeln als eine bewusste Verarmung der Seele. Ihn reizt das Besondere, das Schicksal an der Schnittstelle von Kulturen und nicht das „reine“ Produkt von Mononationalität. Für ihn wäre eine mononationale Wahrnehmung der Welt als eine Einschränkung seiner Individualität. Den Verlust der nationalen Wurzeln andererseits sieht Belger als eine Form von Missgestalt, als moralischen Nonsens. Dieser Standpunkt zieht sich wie ein roter Faden durch alle Arbeiten und gesellschaftlichen Aktivitäten des Autors (seine Bücher „Erinnere dich an deinen Namen“, „Auf der Suche nach dem eigenem Rhythmus“ usw.).

G.K.Belger unterhält ständige Kontakte zu in Deutschland lebenden Schriftstellern. Besonders zu ehemaligen Bürgern der UdSSR wie R. Korn, N. Pfeffer, N. Runde, E. Mater, K. Ehrlich, R. Schultz, J. Ickes, V. Heinz usw. Sie schicken ihm ihre Bücher, er schreibt ihnen Rezensionen.

Belger korrespondiert auch aktiv mit einigen Deutschen ohne Migrationsgeschichte. Mit Leonhard Kossuth hat er in Köln Abay herausgegeben. Mit Kristiana Lichtenfeld bereitet er die deutsche Fassung seines Romans „Das Haus des Heimatlosen“ für die Veröffentlichung vor, mit der Historikerin Erika Vogt die zweite Ausgabe seines Lexikons „Russlanddeutsche Schriftsteller“.

Viele von Belgers Verwandten leben in Deutschland (seine Schwester, ein Neffe, eine Nichte, Cousinen, ihre Kinder und Enkelkinder), mit denen er auch in Kontakt bleibt. All dies ermöglicht ihm einen umfassenden Überblick über das Wesentliche des Geschehens in Deutschland und erlaubt ihm, sich kompetent zur Lage im Land zu äußern.

Belger ist nicht nur ein Nationalist im positivsten Sinne, sondern er lebt auch seine Überzeugung als aktiver Internationalist. Er ist gleichermaßen respektvoll gegenüber Russen, Kasachen, Koreanern, Uiguren und Tataren, zu denen er Kontakte pflegt. Aufgrund seiner Erziehung stehen die Kasachen, die kasachische Sprache, Kultur und Mentalität Gerold Belger besonders nahe. Er ist Übersetzer kasachischer Literatur und schreibt selbst in kasachischer Sprache. Von seiner Ausbildung her Lehrer der russischen Sprache und Literatur ist ihm dieses Thema natürlich immer präsent, was zur Annäherung des kasachischen und russischen Volkes beiträgt.

Belger ist auch fasziniert vom Sprachsystem der Turksprachen. Er verfolgt die multinationale Literatur Kasachstans und hat eine starke Vorliebe für andere Lebensweisen und Sprachen. Dies belegen seine Bücher „Goethe und Abai“, „Irdische Auserwählte“, „Gleichklang / Goethe – Lermontov – Abai“, „Studien über die Übersetzungen von Ilyas Dzhansugurov“, „Gesichter und Worte“, „Ode an die Übersetzung“, „Das Leben – eine Ära“, „Abai – zwanzig Gedichte in drei Sprachen“ und viele weitere seiner künstlerischen, journalistischen und essayistischen Arbeiten. Belger hat sich immer für gegenseitiges Verständnis, Zusammenarbeit und die gegenseitige Durchdringung der Kulturen und Literaturen verschiedener Völker in ihrer natürlichen Entwicklung eingesetzt.

Heinrich GROUT

Herold Belger starb am 7. Februar 2015 in Almaty.


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