Roza Schnajder-Poljakowa: „Es ist viel in meinem Leben passiert, aber ich habe alles überwunden, und ich überwinde es auch jetzt noch“

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Roza Petrowna Schnajder wurde im Jahr 1936 im sonnigen Tiflis geboren. Heute erinnern an diese sonnige Zeit lediglich eine vergilbte Geburtsurkunde in georgischer Sprache und eine Bescheinigung über ihre Rehabilitierung, die bereits im Jahr 1993 ausgestellt wurde. Darin steht, dass sie aus nationalen Beweggründen illegal vertrieben und in einer Sonderstatistik der Behörden des Innenministeriums geführt wurde, ohne das Recht auf Bewegungsfreiheit bis zum Dezember 1952.

Das harte Schicksal hat Roza Petrowna nicht gebrochen, sie erfreut sich noch immer des Lebens – sie lächelt und ist gastfreundlich, und sie hat einen wunderbaren Sinn für Humor. Und auch ihr Garten ist voller Blumen. Nur die Gesundheit schwindet, mit den Jahren wird es immer schwieriger, alleine die Hausarbeit zu erledigen. Roza Petrowna, die einstige Aktivistin der deutschen Gesellschaft der Stadt Schymkent, die keine Veranstaltung ausgelassen hat, verlässt das Haus nicht mehr. Aber dank ihrer heimischen „Wiedergeburt“ fühlt sie sich nicht einsam. Marina Zotowa, Assistentin des Koordinators der Sozialarbeit der Gesellschaft der Deutschen, ist häufiger Gast in ihrem Haus. Sie hilft mit Worten und mit Taten. Und wenn nötig, bringt sie Lebensmittel und Medikamente mit und füllt Dokumente aus.

– Dieses Jahr hat sie mir sogar Rosen gepflanzt, – Roza Petrowna ist überglücklich über Marina.

Wenn sie von ihrer Kindheit erzählt, kann sie ihre Tränen nicht zurückhalten:

– Ich war fünf Jahre alt, als wir aus Georgien deportiert wurden. In der Familie gab es sechs Kinder, aber nur ich alleine überlebte. Aus den Erzählungen der Mutter weiß ich, dass wir in die Hungersteppe (Anmerkung der Redaktion: Wüste in Zentralasien: Usbekistan, Südkasachstan, Distrikt Zafarabad in Tadschikistan) ausgesiedelt wurden, von wo wir zu Fuß einige hundert Kilometer bis nach Dzhambul gelaufen sind. Dort sind sie irgendwie untergekommen und haben meistens gebettelt. Ich sah so erbärmlich aus, dass mitfühlende Menschen immer versucht haben, mir zu helfen und mir zu Essen zu geben. Mama hat in einer Kolchose gearbeitet. Als ich in die erste Klasse kam, wurde sie ins Gefängnis gesteckt. Zu dieser Zeit war es schwierig, sich vor dem Gefängnis zu schützen, selbst für das kleinste Vergehen wurde man inhaftiert. Erst im Jahr 1953 wurde Mama freigelassen, aber die Freude hielt nicht lange an. Praktisch sofort danach starb sie in einem Autounfall.

Roza Petrowna hat sieben Klassen einer Gesamtschule abgeschlossen. Sie hat immer davon geträumt, Schauspielerin zu werden, weil sie es liebte, auf der Bühne aufzutreten, sie war sehr künstlerisch. Dieser kreative Eifer macht sich auch heute noch bei ihr bemerkbar. Aber bei den Theaterprüfungen wurde sie „zerhackt“, als man herausfand, dass sie Deutsche war.

– Frustriert bin ich in den Zug gestiegen, Geld hatte ich keins, ich hab mich in der Gepäckablage versteckt und so bin ich nach Schymkent gefahren, wo ich dann geblieben bin. Ich erinnere mich immernoch daran – ein Brötchen hat 5 Kopeken gekosten, ich wollte essen, aber ich hatten kein Geld. Sie brachten mich zu einem Baumwollkombinat. Ich ging gleich für einen Monat zum Baumwollpflücken. Dann kam ein Brief aus der Kommandantur auf die Arbeit. Ich musste zurück nach Dzhambul. Wie der Kommandant mich anschrie und mir mit Gefängnis drohte! Ich hörte zu und sagte: „Und was habe ich getan, damit ich ins Gefängnis komme, ich bin auf das Baumwollfeld gegangen, um zu arbeiten?“

„Alle Deutschen sind Spione“ – sagte er dann und warf mich hinaus. Und dann, nachdem ich versprochen hatte, mich am 25. jeden Monats zum Vermerk zu melden, ich bin zurück nach Schymkent. Noch immer habe ich ein Gefühl des Hasses auf diese Dienststelle.

Vor Schwierigkeiten hatte ich nie Angst

– Meine Großmutter, mit der ich in einer Wohnung gelebt habe, hat mir einmal geraten: „Roza, gehe und werde eine Köchin, dann wirst du immer satt sein“. Und so habe ich einen sechsmonatigen Kochkurs absolviert. Es kam das Jahr 1955 und ich bin, wie viele junge Leute, gegangen, um das Neuland zu erobern. Viele Jahre lang habe ich in einer Kantine gearbeitet. Es ist einiges in meinem Leben passiert, aber ich habe alles überwunden, und ich überwinde es auch jetzt noch. Vor Schwierigkeiten hatte ich nie Angst.

Der erste Mann von Roza Petrowna starb auf tragische Weise: er ist in einen Sturm aufgebrochen, um die Schafe zu retten, das Auto blieb stehen und er musste zu Fuß zurückkehren. Unterwegs hat er sich verirrt und ist erfroren. Sie blieb alleine zurück mit der Tochter im Arm, sie hat sie aufgezogen und ihr eine gute Ausbildung ermöglicht. Seit dem Jahr 1996 unterrichtet Irina Georgiewna Poljakowa, die Tochter von Roza Petrowna, Deutsch in der Gesellschaft der Deutschen „Wiedergeburt“. Sie wird sowohl von ihren Kollegen, als auch von den Kursteilnehmern geschätzt, geliebt und respektiert.

– Ich spreche Deutsch, ich bestand darauf, dass auch meine Tochter Deutsch lernt. Die hat das Institut für Fremdsprachen absolviert, – merkt Roza Petrowna an. – Aber wir sprechen kein Deutsch miteinander – Irina versteht mich nicht, da ich einen Dialekt bewahrt habe.

– Leider gibt es bei uns nicht mehr sehr viele Aktivisten wie Roza Petrowna, die die für das deutsche Volk tragischen Ereignisse miterlebt haben, – sagt Josif Bachman, Vorsitzender der Gesellschaft der Deutschen Südkasachstan. Deshalb ist es wichtig, dass ihre Erinnerungen und Archivmaterialien zum Gemeingut einer breiten Öffentlichkeit werden. Die heranwachsende Generation sollte wissen und sich daran erinnern, was unsere Ethnie erleben musste. Der Fleiß, die Selbstaufopferung und die Lebenserfahrung dieser standhafter Menschen sollte vielen als Vorbild dienen.

Olesja Klimenko

Übersetzung: Philipp Dippl

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