Albert Rau: „Für uns ist jetzt auch eine nationale Diplomatie wichtig“ Zurück Veröffentlicht in Februar 25, 2022März 20, 2022 Am 11. Februar 1992 wurden zwischen der Republik Kasachstan und der Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen. Darüber, wie diese dreißig Jahre für die Partnerländer vergangen sind und wie sich die Situation heute entwickelt, diskutieren wir mit dem Abgeordneten der Mazhilis des Parlaments der RK, Mitglied des politischen Rates der Partei „Nur Otan“ und Doktor der Wirtschaftswissenschaften Albert Rau. – Albert Pawlowitsch, die 90er Jahre begannen mit der Wiedervereinigung Deutschlands und den globalen Veränderungen in den Republiken der zerfallenen UdSSR. Kasachstan erlangte vor 30 Jahren seine Unabhängigkeit und nur zwei Monate später haben die RK und die BRD diplomatische Beziehungen aufgenommen. – Deutschland war eines der ersten Länder, welches die Unabhängigkeit Kasachstans anerkannte. Vor kurzem wurde in der „Kazakhstanskaja Prawda“ Material darüber veröffentlicht, wie im Oktober 1991 der stellvertretende Außenminister mit der ersten Mission aus Berlin nach Alma-Ata kam, um Kontakte zu knüpfen. Alles hatte gerade erst begonnen. Mit Blick auf die Zukunft möchte ich Sie daran erinnern, dass Nursultan Nasarbajew 2012 zu Besuch in Berlin war und dort das erste Gründungstreffen des Eurasischen Wirtschaftsklubs stattfand. Der Klub wurde von Nasarbajew und Genscher, Ex-Außenminister und Ex-Vizekanzler von Deutschland, gegründet. Ich habe zu denen gehört, die den Besuch unseres Präsidenten vorbereitet haben, und ich war Teil der Delegation. Daher erinnere ich mich gut, was in Berlin passiert ist. Nasarbajew und Genscher haben sich herzlich an den Beginn ihrer Beziehungen erinnert. Nursultan Abischewitsch nannte den Chef des Auswärtigen Amtes sogar seinen Lehrer und verwies auf seine Erfahrungen in der Außenpolitik. Dies musste in der Tat erst erlernt werden, da die Kasachische SSR noch keine eigene Geschichte der Diplomatie und dementsprechend keine Erfahrungen hatte – die Außenpolitik betrieb Moskau. Mit der Selbstständigkeit wurde diese Ausrichtung zur Priorität, wir haben nach und nach Erfahrungen gesammelt, die Theorie studiert und die Praxis entwickelt. Wie mir Ewgenij Iosifowitsch Aman später erzählte, nannte Genscher Nasarbajew in einem privaten Gespräch einen guten Schüler. – Ist es ein Zufall, dass Deutschland aus ganz Zentralasien als engen Partner gerade Kasachstan gewählt hat und auf das Land gesetzt hat? – Das ist kein Zufall. In Zentralasien nahm unser Land von Beginn an eine Führungsposition ein. Dies konnte bei den westlichen Ländern nicht unbemerkt bleiben. Und der zweite wichtige Faktor ist die deutsche Diaspora in Kasachstan, die zu jener Zeit sehr groß war. Jeder der Kanzler des vereinigten Deutschlands richtete seine Aufmerksamkeit auf Kasachstan. Mitte der 1990er Jahre machte der Mann, der die BRD vereinigte, Helmut Kohl, auf einer Durchreise Station in Almaty. Dies war das einzige Mal, dass er Kasachstan besuchte, aber es war notwendig für ihn. Im Gespräch mit dem kasachischen Staatschef ging es um die Intensivierung von Migrationsprozessen aus Kasachstan nach Deutschland. Kohl erklärte, dass ihn das im Hinblick auf die Migrationsgründe beunruhige. Ungefähr das gleiche sagte auch Nasarbajew. Er sagte, die Deutschen gehen nicht, weil sie jemand wegjagt, „wir wollen nicht, dass sie gehen, wir wollen, dass sie in Kasachstan bleiben“. Ich denke, dass unsere früheren Landsleute bestätigen werden, dass die Migration einen wirtschaftlichen Charakter hatte, wenn ich so sagen darf, aber es hat nie politische oder nationale Verfolgungen in Kasachstan gegeben. – Haben deshalb deutsche Investoren ihr Geld so souverän in unserem Land angelegt? – Es gibt eine Statistik über die Auslandsinvestitionen – Kasachstan hat in 30 Jahren Direktinvestitionen in einer Höhe von 300 Milliarden Dollar angezogen. Der Beitrag Deutschlands – rund zwei Milliarden Euro – ist insgesamt gesehen nicht so groß. Aber wir stellen immer wieder fest, dass dieses Geld in nicht-primäre Sektoren investiert wird. Ich erinnere mich, wie sie sagten: Die Deutschen werden kommen, wenn sie deutlich die makroökonomische und politische Stabilität in Kasachstan spüren. Und als die ersten Investitionen aus Deutschland kamen, war das für uns ein Signal: Unsere Stabilität wurde spürbar und gebührend geschätzt. – Wenn man heute im Internet diplomatische Themen zu den Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan „googelt“, dann gibt es auf beiden Seiten nichts skandalöses zu finden. Und nicht nur auf offizieller Ebene, sondern generell haben wir und sie keine Ansprüche aneinander. – Das Niveau der Diplomatie ist vor allem durch die Besuche der Staatsoberhäupter gekennzeichnet. Kohl und Schröder besuchten Kasachstan einmal, Angela Merkel zweimal. Von unserer Seite gab es viel mehr Besuche in Deutschland, Nasarbajew besuchte die BRD oft. Was die ungetrübte Atmosphäre der Beziehungen angeht, so stimme ich teilweise zu. Der Ex-Banker Abljasow hat die Atmosphäre verdorben, er hat in den Beziehungen zu den Deutschen schlechte Spuren hinterlassen. Die Geschichte der Gesellschaft „Hermes“ hat uns allen die Kontakte vergiftet. Ich will mich nicht aufregen, ich sage nur, dass der Konflikt zu Beginn der Präsidentschaft Tokajews beigelegt wurde, und als er in Berlin, dem allerersten der Länder der EU, ankam, erinnerte man sich bereits nicht mehr an „Hermes“. Zu unserer gemeinsamen Erleichterung. Da es sich um eine staatliche Gesellschaft handelte, waren alle außenwirtschaftlichen Transaktionen versichert. Es war eine lange Geschichte, die vollwertige Wirtschaftsbeziehungen störte und nicht nur das. Dies war auch auf diplomatischer Ebene zu spüren. Es ist eine Frage des Vertrauens. Eine skrupellose Figur beschwor Dissonanzen herauf, der Ruf musste über Jahre hinweg wiederhergestellt werden. Aber das ist auch eine Erfahrung. Vor dem Besuch Tokajews im Jahr 2019 habe ich meine deutschen Kollegen gefragt: Das Problem „Hermes“ ist gelöst, und was nun? Wissen Sie was sie mir geantwortet haben? Wenn dieses Problem nicht gelöst worden wäre, dann hätten Sie einen schwarzen Fleck auf ihrer Reputation, aber der ist jetzt weg, alles ist offen und läuft. Aber bis dahin wurden wir zehn Jahre lang daran erinnert und wir entschuldigten uns. Übrigens, im Jahr 2021 fragte der Präsident auf einem Geschäftsabendessen Grigorij Martschenko, seinerzeit Vorsitzender der Nationalbank, der ebenfalls Teil der Delegation war: Wer investiert mehr in wen: sie in uns oder wir in sie? Martschenko sagte, dass Kasachstan mehr investieren würde, und er nannte den Betrag, den wir in deutschen Wertpapieren halten – wie sich herausstellte, war der Betrag höher, als der der deutschen Investitionen. Heute habe ich bei der Nationalbank angerufen: In welchem Wert halten wir Aktiva in deutschen Wertpapieren? Eine Milliarde neunhundert Millionen halten wir bis heute. Irgendwie entspricht dieser Betrag dem Volumen der deutschen Direktinvestitionen. Es ist sehr wichtig, dass die Deutschen in unsere kleinen und mittleren Unternehmen investieren, in große investieren sie kaum. Zu den Großen gehört Linde-Gas, eines der weltweit führenden Unternehmen. Es hat in ArcelorMittal Temirtau investiert, wo Industriegase hergestellt werden. Der größte Investor ist auch HeidelbergCement – etwa ein Drittel des Zements in Kasachstan wird von diesem Unternehmen produziert. Sie kauften auch alte Zementwerke und bauten ein von Grund auf neues Werk in Schepte, in der nähe von Aktau. Man kann sagen, dass dies der größte deutsche Investor in unserem Land ist. Ein bedeutender Anteil des Gipsmarktes in Kasachstan gehört dem deutschen Geschäftsmann Knauf. Ich meine, wir haben Geld in deutsche Wertpapiere investiert und können diese morgen problemlos an der Börse verkaufen, sprich, das ist eher eine Geldaufbewahrung als eine Investition. Aber die Deutschen investieren in den Realsektor. Dies ist ein wesentlicher Unterschied. Diplomatie ist keine abstrakte Sphäre. Diplomaten spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung der Wirtschaft. – Weiter oben haben wir gesagt, dass Deutschland damit begonnen hat, in Kasachstan zu investieren, als es überzeugt davon war, dass wir makroökonomische und politische Stabilität geschaffen hatten. Hat der Januar 2022 einen Riss hinterlassen? Wird ein neuer schwarzer Fleck die Beziehungen zwischen unseren Ländern beeinträchtigen? – Für uns ist jetzt auch die Wirtschaftsdiplomatie wichtig, vor allem die Volksdiplomatie. Letzten Sonntag haben wir eine Telefonkonferenz mit der Gesellschaft Russland – Deutschland abgehalten. Auf der anderen Seite standen Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Wir haben ihnen erstens die ganzen Hintergründe der Januar-Ereignisse offenbart, und zweitens haben wir direkt gesagt: Sie müssen uns vor Angriffen schützen. Insbesondere das Europäische Parlament hat uns verurteilt, angeblich wurde in Kasachstan auf friedliche Demonstranten geschossen. Aber sie schwiegen über die bewaffneten Angriffe. Das wird oft so gemacht: man schnappt sich das, was man verurteilen kann. Dem stimmen wir, die deutsche Bewegung „Wiedergeburt“ nicht zu. Wir werden unsere Wahrheit als Augenzeugen, die genau wissen, was in den tragischen Januartagen passiert ist, unter Beweis stellen. Der Staat verteidigte sich gegen Banditen, Terroristen und Plünderer, er verteidigte seine Städte und seine Bürger. Ich glaube nicht, dass es zu einer kritischen Neubewertung der Beziehungen zwischen Kasachstan , Deutschland und der Europäischen Union insgesamt kommen wird. Ich möchte betonen, dass wir (ich war Mitglied der Delegation) bei dem ersten Besuch von Präsident Tokajew in Europa, glücklicherweise vor der Pandemie, das Niveau der zwischenstaatlichen Kommissionen ernsthaft angehoben haben. Und dass wir eine Regierungskommission für Deutschlandangelegeheiten haben, die jedes Jahr tagt, war eine umsichtige und langfristige Initiative, und dies wird jetzt noch deutlicher. Die Sache liegt nicht nur in den Ereignissen vom Januar. Deutschland insgesamt leistet viel technische Hilfe, zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). In all diesen Jahren bewegte sich die Finanzierung der Programme der ethnischen Deutschen durch solche Strukturen. Zwar ist seit dem letzten Jahr ein weiterer Mittler aufgetaucht, er sitzt nicht in Kasachstan, er arbeitet „aus der Ferne“, aber die GIZ ist hier breit vertreten. Sie leitet verschiedene Themen, entwickelt Gesetze, hilft zum Beispiel bei der Entwicklung der dualen Ausbildung, und das ist eine vielschichtige Arbeit. Das Goethe-Institut darf nicht unerwähnt bleiben – die Eröffnung seiner Zweigstelle im Kasachisch-Deutschen Zentrum haben wir von vorneherein geplant. Das heißt, das KDZ ist nicht nur die „Wiedergeburt“, es ist ein Zentrum der Zusammenarbeit. Und jeder, der aus Deutschland nach Kasachstan kommt, muss es auf jeden Fall besuchen. Wir haben dort bereits viele Gäste empfangen – von der Deutschen Bank, aus dem Bundestag usw. Es werden ohne Zweifel noch mehr einflussreiche Gäste kommen. Das Zentrum arbeitet auch mit Visa, mit der Botschaft und mit Kulturschaffenden zusammen. Dies ist auch das Ergebnis des 30-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen. Gerade jetzt müssen wir alle Kanäle nutzen, damit es nicht zu einer Eskalation der Negativität kommt. – Welche Fragen wurden während der Telefonkonferenz gestellt? – Zum Beispiel über Migrationsstimmungen. Werden die im Land verbliebenen Deutsch nicht in ihre historische Heimat eilen? Wir haben geantwortet, dass solche Stimmungen nicht genährt werden sollten. Dafür gibt es keinen Grund. Die ethnischen Deutschen fühlten sich während der Proteste wahrscheinlich genauso wie alle Bürger des Landes unwohl, aber sie waren nicht wirklich betroffen. Auf sie gab es keine „Jagd“ oder Verfolgung. Vom ersten Tag an waren wir mit dem deutschen Botschafter in Kontakt und hielten ihn über die Lage der Deutschen auf dem Laufenden. Nur eine unserer Mädels wurde in Almaty von den Plünderern verprügelt, der Staat entschädigt sie für den Schaden. Weitere Zwischenfälle mit den Deutschen gab es nicht. Aber die Frage der Sicherheit schwang natürlich mit, vor allem im Zusammenhang mit der Anziehung von Investitionen. Dazu kann ich eines sagen: Wir müssen die richtigen Lehren ziehen und alles dafür tun, damit es keine Gründe für solche Ereignisse gibt. In diesem Zusammenhang sehen wir eine neue Personalpolitik. Sie zielt darauf ab, die Verantwortlichkeiten zu erhöhen. – Albert Pawlowitsch, werden denn unsere Veränderungen in Deutschland wahrgenommen? Zufällig befanden sich vor 30 Jahren beide Länder in der Phase der Erneuerung, und heute ist es eine ähnliche Situation. Deutschland hat einen neuen Kanzler und eine neue Außenministerin – das ganze Kabinett ist neu. Die Chefin des Auswärtigen Amtes, Frau Baerbock, ist gegenüber manchen postsowjetischen Republiken sehr anspruchsvoll. Wird sich die Diaspora in den Prozess des Kennenlernens der neuen Regierung und insbesondere des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland einbringen? – Als ich vom Kasachisch-Deutschen Zentrum sprach, meinte ich eine Art „Haustüre“ für die Deutschen. Wer aus Deutschland hier her kommt, ob Politiker oder Unternehmer, kann erwarten dass wir bereit zur Kommunikation sind. Wir haben eine entsprechende Vereinbarung mit der Botschaft, damit das Wichtigste zu deutschen Themen zusammen mit uns besprochen wird. Es gibt Grund zu glauben, dass auch für Besucher aus der BRD alles im Zentrum symbolisch und schön aussehen soll. Es ist ein Zentrum, das unter anderem auch mit dem Geld deutscher Steuerzahler gebaut wurde. Es macht als Sinn, dieses oder jenes Projekt oder Initiative zu unterstützen. Und wenn es in Einzelfällen zu Unstimmigkeiten kommt, können wir uns zusammensetzen und die aufgetretenen Probleme lösen. Früher oder Später wird Frau Baerbock nach Kasachstan kommen. Ich bin mir sicher, dass die deutsche Diaspora ihre Meinung über das Land zum Besseren ändern wird. Für Frau Baerbock, die die Grünen vertritt, ist auch die Strategie der Klimaneutralität in Kasachstan von Bedeutung. Wir sind in dieser Hinsicht den anderen nicht voraus, aber wir liegen auch nicht hinter anderen Ländern zurück. – Klimaneutralität ist Aufgabe des Staates, nicht der Diaspora. Aber sie sprechen, als sei der Ethnie eine gewisse Mission anvertraut… – Ich habe mich in Deutschland bereits mit Abgeordneten der SPD getroffen – das ist heute die führende politische Kraft im Land und in der Regierungskoalition. Im Februar findet ein weiteres Treffen statt. Wir müssen mit der Koalition als Ganzes arbeiten. Die Frage der Klimaneutralität wird so oder so auftauchen. Wir müssen bereit sein. Daher können wir diese Fragen nicht irgendjemandem überlassen und darauf warten, was andere tun werden. Wir haben uns früh damit befasst. Wenn sich dort die CO2-Agenta durchsetzt, dann herrscht Einvernehmen darüber, dass Kasachstan ein sehr großes Potential hat. Die bereits erwähnte GIZ leistete technische Hilfestellung, sie half bei der Entwicklung einer Strategie zur CO2-Neutralität bis zum Jahr 60. Das heißt, wir geraten nicht in Konflikt mit den weltweiten Tendenzen. – Es ist nicht nur die CO2-Agenda in den Lippen westlicher Politiker. Das am häufigsten genannte Wort ist „Demokratie“. Der Stolperstein in den Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken ist der Mangel an Demokratie. – Alle Botschafter, mit denen ich seit 2010 eng zusammenarbeite, fordern in den letzten Jahren von Kasachstan nichts über die üblichen demokratischen Standards hinaus. Sie verstehen die Besonderheiten eines Landes im Transformationsprozess. Wir werden nicht getrieben. Die derzeitige Botschafterin, Monika Iversen, arbeitete bis letztes Jahr in Bischkek und bewertete unsere Transformation loyal und objektiv. Im politischen Bereich ist dies überfällig, was sich im Januar manifestierte, aber die Wirtschaft sollte nicht einbrechen. Irgendwann in den frühen 2000er Jahren hat die Partei Nur Otan eine sehr einfache Formel entwickelt: Wir sind eine Marktwirtschaft, und die muss ständig wachsen, und jeder Mensch in Kasachstan muss dieses Wachstum spüren. Das heißt, die Entwicklung der Wirtschaft sollte sich positiv auf das Leben der Menschen auswirken. In den letzten Jahren hat dies Formel, um es richtig auszudrücken, nicht funktioniert. Bestimmte Bevölkerungsgruppen profitieren stärker als die allgemeine Bevölkerung. Aber bedenken Sie: dies ist ebenfalls ein globaler Trend. Mit dem Unterschied, dass eine starke Wirtschaft all ihren Bürgern ein wohlhabendes Leben sichert, während weniger entwickelte Volkswirtschaften in der normalen Gesellschaft ins Stocken geraten. Übrigens gibt es ein gewisses Wortspiel zu diesem Thema. Ein Prozent der Bevölkerung Kasachstans besitzt 29 Prozent der Wirtschaft. Und wie viel gehört in Deutschland diesem einen Prozent? Die Antwort: 29,7. Aber eine große Mittelschicht, zu der in Deutschland auch Staatsbedienstete gehören können, sorgt für Stabilität. Die Präsenz einer großzügigen Mittelschicht gleicht die Kluft zwischen den Ärmsten und den Reichsten aus. Aber in unserem Falle ist diese Schicht aufgrund dieses sehr kleinen Kettenglieds entstanden. Alle sagen, es sei wichtig, die Zone der Mittelklasse zu erweitern, aber das hat bisher nicht funktioniert. – Der Präsident fordert heute ein erfolgreiches Leben für alle, nicht nur für eine Klasse. – Natürlich. Aber es ist die Mittelklasse, die die Wirtschaft entmonopolisiert und Arbeitsplätze schafft. Wir bewegen uns auf dem Weg der Umverteilung von Machtfunktionen – all dies in einem Bündel. Dieser Prozess begann vor einigen Jahren, allerdings mit einer starren Präsidialvertikale. Die Delegation von Befugnissen an die Regierung, an das Parlament, das sind nicht nur Worte. Ich sehe darin eine bezeichnende Erfahrung des Bundestages. Ich halte es für richtig, mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Parlament darüber zu sprechen. In jedem Falle bewegen wir uns in Richtung einer entwickelten Marktwirtschaft, die in der Lage ist, einen leistungsfähigen Staatshaushalt zu bilden. Das Wahlprogramm jeder beliebigen Partei in Deutschland, die bei Wahlen die Mehrheit der Stimmen erhält, wird durch einen Finanzhaushalt realisiert. Zum Beispiel versprach Scholz den Wählern, den Wohnungsbau zu forcieren – der Haushalt muss diese Strategie vorsehen, da die Mehrheit der Bevölkerung dafür gestimmt hat. Das heißt, die Bevölkerung stimmt zu, dass der Großteil des Budgets in diese oder jene Paragrafen fließen wird, die im Wahlprogramm der siegreichen Parteien genannt sind. Wir kamen hierzu mindestens 30 Jahre später. Ich denke, das ist auch für Deutschland wichtig. – Werden die Kasachstandeutschen diese Früchte auch zu spüren bekommen? – Eine solche Aufgabe lohnt sich, und das sollten nicht nur die Deutschen der Republik spüren. Bei uns weiß man jetzt in jedem Kreis, in welchen Dörfern die Wasserleitungen verlängert werden sollen, wo Straßen gebaut werden sollen – alles steht im Programm und wird über den Haushalt realisiert. In Deutschland beginnen die Parteien bereits am zweiten Tag nach den vergangenen Wahlen mit der Arbeit für die nächsten. Nachdem sie ihre Versprechen erfüllt haben, legen sie den Grundstein für den nächsten Wahlzyklus. Die Zeit wird kommen und sie werden ihren Wählern sagen: Was wir versprochen haben, haben wir gehalten. Wenn Scholz versprochen hat, den Wohnungsbau zu verdoppeln, dann wird er das tun, denn die Maßnahmen stehen im Budget. In diesem Sinne hat auch unser Präsident im Januar-Interview auf die Erfahrungen Deutschlands verwiesen. Auch das ist nicht unbemerkt geblieben. – Zusammenfassend ist dies auch die Entwicklung der Diplomatie, die vor 30 Jahren begonnen hat? – Diplomatie muss facettenreich sein, dann ist sie effektiv. Die Volks-, Parlaments- und Wirtschaftsdiplomatie ergänzt die offizielle und dient ihrer Stärkung. Ich leite zum Beispiel die interparlamentarische Gruppe „Freundschaft“ mit dem Bundestag, wir hatten bereits ein Treffen online. Wir warten darauf, dass sie Funktionen verteilen, und ich hoffe, dass Herr Grund, der viele viele Jahre lang ihr Co-Vorsitzender war, in der Gruppe bleibt. Er vertritt die CDU, das heißt, er ist jetzt in der Opposition. In dieser Hinsicht kann die Gruppe neu formatiert werden, aber wir werden sowohl mit den Sozialisten, als auch mit den Konservativen zusammenarbeiten. Ich leite diese interparlamentarische Gruppe und erwarte, dass die Arbeit interessante Ergebnisse hervorbringen wird. Es gibt auch einen kasachisch-deutschen Wirtschaftsrat, der besteht seit vielen Jahren, seit Anfang der 2000er Jahre ist natürlich auch die „Wiedergeburt“ Mitglied dieses Rates, und der Operator ist jetzt die NPP „Atakemen“, der die Regierung vertritt. In Deutschland gibt es eine ganz ähnliche Handelskammer, die vom Staat finanziert wird. Die ist verantwortlich für die Außenwirtschaft. Wir haben uns an die NPP und die Regierung mit dem Vorschlag gewandt, unsere Stiftung mit den Funktionen der Außenwirtschaftsarbeit zu betrauen, um Operator des kasachisch-deutschen Wirtschaftsrates zu werden. Wir haben Erfahrung, Verbindungen und Interesse. Die NPP hat viele Geschäftskontakte in verschiedene Länder. Wir bitten darum, dass man uns Deutschland gibt. Dies gilt als Beispiel, als Initiative. Wir wollen nicht nur, mitmachen, sondern wir wollen in diese Richtung gehen. Es ist auch ein Element der Diplomatie, das gegenseitigen Nutzen verspricht. Interview: Ljudmila Fefelowa Übersetzung: Philipp Dippl Поделиться ссылкой: