Bits und Bytes werden uns auf ewig verbinden

Zurück

Besitz, Kirche und Schule waren die Säulen der Ideologie der deutschen Siedler. Sie haben sie aus Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mitgebracht und haben, bereits als Untertanen des Russischen Imperiums, mit aller Kraft versucht, die Treue zu den Traditionen ihere europäischen Vorfahren zu bewahren. Was kann denn nun die auf dem Gebiet der Republik verstreuten Überbleibsel der einst viele Tausend Menschen zählenden Ethnie von sowjetischen, jetzt kasachstanischen Deutschen einen? Wie kann man die Lieder, die Gebräuche und Traditionen der alten Generation in Erinnerung behalten, um mit den geringst möglichen Verlusten dieses Erbe an die Jungen zu übergeben, unseren Kindern und Enkelkindern? Wie kann man die Geburts- und Familiennamen der Deutschen vor dem Vergessen bewahren, den gesetzesgemäßen Prozess der Integration unserer Ethnie trennen von der allmählichen Assimilierung innerhalb des freundschaftlichen Umfelds mit anderen kasachstanischen Völkern? Akzeptieren denn unsere Erben diesen Staffellauf, der durch hunderte Jahre Krieg, Repressionen und harte Arbeit hindurch getragen wurde?

Zu vergangenen Werten zurückzukehren, die gleichermaßen für unsere gesamte Ethnie geeignet sind, ist heute kaum mehr zu schaffen. Die Kirche ist bei uns vom Staat getrennt, und viele Gemeindemitglieder gehen aus Tradition in das Gotteshaus. Die Schule hat sich stark verändert, und in unserem Fall wird sie dem Schutz der deutschen Ethnie, oder um genauer zu sein, mit ihrer Identifikation mit der deutschen Nation, überhaupt nicht gerecht.

Mit Sorge beobachten wir die Vorbereitung des Beginns der neuen Deutschklassen und Gruppen um neuen Schuljahr – wird es denn klappen? Wie ist es mit dem Besitz? Die Urbanisierung hat die Bevölkerungsbasis an verschiedene Pole des Wohlstands und des Zugriffs auf materielle Güter getrieben.

Wir unterhalten uns darüber mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates der öffentlichen Stiftung „Wiedergeburt“ Albert Rau. Die Erforschung seiner Familiengeschichte wurde zu seinem Hobby. Er suchte Informationen über seine Vorfahren in Archiven in Saratov, Odessa und Deutschland, hat fünf Jahre lang Materialien für ein Buch zusammengetragen, hat dafür nicht wenig Zeit und Geldmittel aufgebracht. Er hatte Glück mit der Suche in der Linie mütterlicherseits, gebürtig aus dem Kreis Krasnodar: In Stuttgart existiert eine Landsmannschaft der bessarabischen Deutschen, deren Vorfahren in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts aus Baden-Württemberg nach Russland emigrierten.

Sie sind die Nachkommen der hunderttausend Deutschen, die im Jahr 1940 vor der Vereinigung Bessarabiens mit der UdSSR nach Deutschland zurückkehren wollten. Die Grundidee der bessarabischen Gemeinschaft ist die Zusammenlegung der Kräfte und Mittel, um von ihren Vorfahren zu erhalten was noch existiert. Zum Instrument zur Realisierung dieser Idee wurde unter anderem das Internet. Ein Programm, in welches die Familie ihren genealogischen Stammbaum eintragen, wurde sehr populär in Deutschland. Mit dessen Hilfe lassen sich Verwandte rund um den Erdball aufspüren und die eigene Position in der Gesellschaft stärken.

Es ist klar, dass die Menschen in Deutschland in reicheren Verhältnissen leben, als wir. Das bedeutet, dass sie auch mehr Möglichkeiten haben. Und wir? Wir haben doch auch die öffentliche Stiftung „Wiedergeburt“, die nicht gerade wenig tut, um der deutschen Ethnie komfortablere Lebensumstände zu schaffen. Deutsche Sprachkurse, Folklorefeste, Die Ausgabe von Lebensmitteln und Medizin für bedürftige Landsleute – alles das ist wunderbar und notwendig in der heutigen Zeit.

Und was ist der Gedanke dieser Arbeit? Was sehen wir vor uns, wohin gehen wir? Feiertage kommen und gehen, Sprachkurse sind auch irgendwann beendet. Und was bleibt?

Albert Rau hat mir vor dem Hintergrund unseres Gespräches das von ihm herausgegeben Buch „Die Geschichte meiner Familie“ gezeigt. Der reflektierte Zeitabschnitt verdient großen Respekt – von 1533 bis 2014 (!). Jetzt existiert etwas, um es den Nachkommen zu hinterlassen. Es ist verständlich, dass aus vielen Gründen nicht alle diese schriftstellerische Heldentat von Albert Rau wiederholen können. Meiner Meinung nach muss auch nicht die breite Öffentlichkeit diese Andenken lesen, da dort auch viel persönliches aufgeführt ist.  Aber auf was Albert Pawlowitsch stolz sein kann, sind die vielen Entdeckungen. Zum Beispiel dass die Familie nicht einmal ein Foto des Onkels aus der mütterlichen Linie besaß, der bei Baumfällarbeiten im Norden verschwand, aber als Ergebnis der Suche gelang es, nicht nur ein Foto und ein Protokoll seiner Verhaftung (Dorf Wannowskoje, Kreis Krasnodar, Dezember 1929) zu finden, sondern auch das Protokoll seiner Befragung, in welcher der Onkel seine ganze Lebensgeschichte erzählte und wie er sich den Titel des „Feindes der Sowjetmacht“ verdiente.

Und deshalb ist das Internet mit seinen schier grenzenlosen Möglichkeiten genau das, was benötigt wird. Albert Pawlowitsch hat sich selbst überzeugt, als er außer dem üblichen Schriftwechsel und den Anfragen die zahlreichen Informationsressourcen nutzte. Und jetzt reichen die Wurzeln seines genealogischen Stammbaums ungefähr zwei Jahrhunderte tief in die Geschichte. Und alles Dank der Tatsache, dass es weit entfernte Verwandte gibt, die ihre eigenen Forschungen anstellten. Wenn auch nur eine einzige Person mit den Menschen übereinstimmt, die in jemandes Stammbaum existieren, dann findet das Programm dies auf jeden Fall heraus. Und falls wir gemeinsame Vorfahren haben und sich ihre Stammbäume auf diese Weise überschneiden, dann erhalten Sie weitere Informationen über ihre Entdeckungen. Es gibt nicht nur eines dieser Programme. Aber besonderer Beliebtheit erfreut sich die internationale Plattform https://www.myheritage.com.

Kann es also sein, dass uns die Digitalisierung in unserer weiteren Arbeit mit der Geschichte der kasachstanischen Deutschen helfen wird? Am 14. und 15. Mai diesen Jahres findet in Astana die internationale praktische Bildungskonferenz „Die Deutschen Kasachstans: historische Erinnerung der Ethnie und die Digitalisierung der Informationsquellen“ statt. Die Reihe an Problemen, die zur Diskussion stehen, ist vielfältig: die Analyse des Wissensstandes zur Geschichte und des Archivüberblicks zur deutschen Ethnie, Aufbau eines Online- und virtuellen Museums der Deutschen Kasachstans, Untersuchung der erfolgreichen Erfahrungen Deutschlands in der Benutzung von Informationstechnologien und Ressourcen zur historischen Forschung, und so weiter. Nach unseren Informationen findet in Deutschland und in anderen Ländern schon seit einigen Jahren die Digitalisierung verschiedenster Prozesse statt. In dieses Projekt sind die Archive und die Kirchen des Vaterlandes aktiv eingebunden. Es werden solch alte Manuskripte digitalisiert, dass man es sich kaum vorstellen kann.

In der Epoche der Globalisierung wollen alle ihren Platz in der Geschichte behaupten. Und auch uns wird es nicht schaden, uns darum zu kümmern.

 Genrich Braun

Übersetzung: Philipp Dippl

Поделиться ссылкой:

x