Die helfende Hand vergisst man nie

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Die Aktjubinsker Deutschen erinnern sich mit Dankbarkeit an die, die sie vor vielen Jahren auf ihrer Erde willkommen hießen.

In diesem Jahr wird der Tag der Dankbarkeit zum dritten Mal veranstaltet, gleichwohl hat es der Feiertag in dieser nur kurzen Zeitspanne geschafft, von allen Kasachstanern geliebt zu werden. Die multinationale Zusammensetzung unseres Landes entstand nicht in einem Jahr – einige litten unter den Repressionen der Vorkriegsjahre, viele Vertreter verschiedener Ethnien wurden bereits im Großen Vaterländischen Krieg deportiert, andere kamen überhaupt erst auf der Suche nach einem besseren Leben nach Kasachstan. Jeder Aussiedler – ob gezwungen oder freiwillig – hat seine eigene Geschichte.

In diesem Jahr erreicht Anna Iosifnowa Gorinaja (Mädchenname Dil) das 85. Lebensjahr. Sie durchlebte die Repressionen und den Krieg und sie weiß, was Kälte und Hunger bedeuten.

– Ich bin eigentlich aus Leningrad, – sagt meine Gesprächspartnerin mit Stolz. – Allerdings wurden wir fünf Tage nach meiner Geburt nach Tbilisi gebracht (wir nannten die Stadt Tiflis). Mama kam in einer Schuhfabrik unter, und Vater arbeitete in einer Fabrik, die Knöpfe herstellte. Wir haben in einer Baracke gelebt, aber wir haben uns nicht beschwert. Alles war gut, wir arbeiteten in der Gewissheit, dass es bei uns neun Kinder gab, die wir alle versorgen wollten.

Die Nachricht vom Krieg war wie ein Donner unter freiem Himmel, und nach ein paar Tagen wurde den deutschen Familien gesagt, sich zu versammeln. Ein Zug, eine Fähre, dann wieder ein Zug. Und auf die Fragen, die den Soldaten von den Heimatvertriebenen aufgezwungen wurden, haben sie nur geschwiegen. Wohin wir gebracht werden und warum – keiner wusste es.

Die letzte Reise – eine von vielen Stationen in den Steppen Nordkasachstans. Ab hier gab es nur noch Ochsenkutschen, so dass die örtlichen Bewohner weinten beim Anblick der Hungernden und Verlorenen. Die Mutter – Jekaterina Iwanowna Dil – konnte sich kaum auf den Beinen halten, das Kleinste der Kinder hat keine 40 Tage überlebt…

Die Kolchose der politischen Abteilung im Süden Kasachstans hat die Neuankömmlinge auf gute Art und Weise aufgenommen, die örtliche Bevölkerung hat versucht, den Vertriebenen zu helfen, dieser hat ein Brot gebracht, jener hat mit Milch ausgeholfen.

– Die Väter kamen sofort in die Arbeitsarmee, und aus uns wurden immer weniger – insbesondere Medizin gab es keine, so wurden die Kinder von Krankheiten dahingerafft. Der Vater kam im Jahr 1943 zurück. So sehr zusammengeschlagen und krank, dass er nur noch kurz auf der Erde lebte. Wir blieben zu zweit mit der Mutter, ansonsten war keiner mehr übrig… – verstummt die Großmutter.

Anna Iosifowna erging es etwas besser als den anderen ihrer Landsmänner: in dem südlichen Klima konnte man Mungobohnen sammeln (eine Bohnenart), sobald es hell wurde, gingen die Kinder auf die Felder, zu den Weizenähren.

Und im Süden gab es auch noch Baumwolle. Die Baumwollfelder schienen für das neunjährige Kind grenzenlos zu sein.

– Wir haben uns nie beschwert. Es kam vor, dass wir einige Tage lang nichts zu essen hatten, aber das hielten wir aus. Es war für alle schwierig. Wir gingen auf die Felder und sammelten den Weizen, es gab so viel davon, dass man dachte, er wäre überall, – seufzt die Veteranin der Arbeitsfront.

Was hat dem kleinen Mädchen Anna diese Kraft verliehen? Vielleicht die Hoffnung, dass der morgige Tag kommt und den Krieg beendet, vielleicht der Lebenswille trotz aller Lasten des Schicksals.

Die Freundschaft prüft die Dauer, Stolz und Barmherzigkeit den Krieg. Tausende und abertausende Deutsche, Koreaner, Bulgaren, Armenier, Ukrainer, Aserbaidschaner und andere Ethnien werden sich in Dankbarkeit daran erinnern, dass sie vor vielen Jahren nicht der Not überlassen wurden, sondern dass ihnen diese dringende Hand der Hilfe ausgestreckt wurde.

Dmitrij Schinkarenko

Übersetzung: Philipp Dippl

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