Eine Chance für die deutsche Sprache

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Walerij Schewalje

In Astana fand am 29. November die Internationale Sprachkonferenz „Deutsch: Herausforderungen und Perspektiven des Lernens in Kasachstan“ statt

Der Abgeordnete des Unterhauses (Mäschilis) des Parlamentes der RK und Vorsitzende des Kuratoriums der öffentlichen Stiftung „Wiedergeburt“ Albert Rau, der außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter der BRD in Kasachstan Tino Klinner, die Vertreter der Bildungssparten des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der RK, der Nationalen Akademie für Bildung namens Altynsarin, des wissenschaftlich-praktischen Zentrums der Republik „Uchebnik“ des MON der RK, des Zentrums des pädagogischen Handwerks AOO „Nasarbaew Intellektuelle Schulen“, die Aktiengesellschaft Nationales Zentrum für Weiterbildung „Orleu“, des Goethe-Instituts, der Schuldirektoren, Deutschlehrer und die Mitglieder der Stiftung „Wiedergeburt“ betonten einstimmig die  Bedeutung und Aktualität der wachsenden Probleme im Alltag der deutschen Ethnie in Kasachstan. Als Ergebnis der Diskussion wurde eine Resolution verabschiedet, als Hauptpunkt wurde kategorisch und präzise ein Datum hervorgehoben. Ab dem ersten September 2019 soll in den Schulen des Landes Deutschunterricht für Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse beginnen. Aber alles nach der Reihe.

Kasachisch und Russisch: Ja! Aber das Erlernen von Englisch oder Deutsch sollte für die Eltern oder Schüler zur Wahl stehen. Als die Entscheidung zum Übergang zur dreisprachigen Schule getroffen wurde – Kasachisch, Russisch, Englisch – wurde die inländische Bildung attackiert und die Zielsetzung schon bald verwässert. Der Akzent wurde darauf gelegt, das die dritte Sprache in einer Gesamtschule auf jeden Fall Englisch sein sollte. Zumindest aus dem Grund, da einige Lehrfächer in den höheren Klassen auf Englisch unterrichtet werden sollen. In Ordnung. Aber niemand ist dazu gekommen oder hat es gewagt, zu sagen, dass eine solch eindeutige Entscheidung in der Angelegenheit gegen die Gesetze unseres Landes verstößt, insbesondere gegen die Konvention zum Schutz der Rechte der Kinder unserer Republik. Es zeigt sich, dass kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist, eine überwältigende Mehrheit von Deutschlehrern begann eilig auf Englischunterricht umzuschulen, oder haben direkt den Beruf aufgegeben. Das seit Jahrzehnten bewährte System des Deutschunterrichts begann vor unseren Augen zusammenzubrechen. Pädagogen kündigten, Lehrbücher und methodische Lehrmittel verschwanden, niemand blieb zum lernen übrig. Das Drama verschlimmerte sich mit jedem Jahr und nahm die Form einer Sprachtragödie an. Und inzwischen verlief alles überhaupt nicht nach Plan. Wie sich herausstellte, gibt es keinerlei „Verpflichtung“ den Unterricht der höheren Klassen in Chemie, Biologie, Physik oder anderen Fächern ausschließlich auf Englisch zu halten. Und die gab es nie! Jeder Schüler kann nach seinem Wunsch in diesen Fächer auf Russisch oder Kasachisch lernen, abhängig davon, auf welche Schule er geht. Für viele Teilnehmer der Konferenz wurde diese Information zu einer sensationellen Offenbarung. Tatsächlich ist die Erklärung schnell gefunden: falsch verstanden, wenig propagiert und beworben, sich nicht damit auseinandergesetzt…

Natürlich, alles auf einmal aufzubauen ist einfacher und billiger, als einen praktisch individuellen Ansatz für jedem Schüler zu realisieren. Es ist teuer, kompliziert, es gibt viele Unstimmigkeiten und andere technische Belastungen. Aber das Gesetz muss in seinem ganzen Umfang angewendet werden, und nicht nach dem Anteil von Belastungen und Möglichkeiten.

Die Bemühungen gehen in erster Linie auf Albert Rau zurück, in diesem Jahr liefen die Dinge in die entgegengesetzte Richtung: Das kategorische Wort „Englisch“ wurde im Gesetz durch den diplomatischen Begriff „Fremdsprache“ ersetzt.

Aber wie schaffen wir es zurück auf den Stand von wenigstens des letzten Jahrzehnts und beginnen erneut, Deutsch zu lernen?

Nun, warum „beginnen“? In vielen Gymnasien und Hochschulen des Landes hat man nicht zerstört, was in vielen Jahren erarbeitet wurde, man hat alles so gelassen wie es war: Die Lehrkräfte bei gleichem Gehalt,

die Unterrichtseinheiten sind praktisch gleichgeblieben, Lehrbücher hat man aus Deutschland schicken lassen, Bücher wurden bei Verlagen mit Weltruf bestellt. Das heißt, in diesen tapferen Schulen lernen unsere Kinder Deutsch mit genau den gleichen Lehrbüchern, wie auch in vielen entwickelten Ländern der Welt. Und sie meistern die Programme ausgezeichnet, auch wenn diese den Expertisen der staatlichen Stellen nicht genügen. Man sollte anmerken, das Wort „Expertise“ fiel auf der Konferenz häufiger, als „Kinder“, „Lehrer“ oder „das Recht der Wahl“. Aber dies ist eine Zeit des Umbruchs. Und nicht nur für die Bürokraten des Bildungsministeriums, sondern für uns alle. Die Begutachtung für ein neues Lehrbuch, welches auf dem Tisch unserer Schüler landen könnte, dauert im Durchschnitt gar nicht lange, etwas weniger als ein Jahr. Ohne Ausrufezeichen, alles nach dem Gesetz. Lehrprogramme des Fachs erhalten ein Gutachten und die Genehmigung etwas schneller, aber benötigen auch Zeit. Dabei begann die  Zusammenstellung und die Genehmigung der Deutschlernprogramme wie durch die „Hintertür“ – mit den Lehrmitteln für die zehnten und elften Klassen. Ich bin zwar schon alt, habe sogar das pädagogische Institut abgeschlossen, aber diese Rechenkunst habe ich nicht verstanden. Läuft es darauf hinaus, dass unsere Kleinen von der ersten bis zur vierten Klasse, und nicht nur die aus den deutschen, sondern aus sämtlichen kasachstanischen Familien, die sich dafür entscheiden, wiederum ein Jahr ohne Deutschunterricht verlieren? Man möchte Fragezeichen hinter die halbe Kolumne setzen.

Also woher nehmen wir die Schulbücher und Lehrer, um die Sache auf die nötige Art und Weise in Gang zu bringen?

„Die haben wir,“ sagen die schlauesten Leute der Welt. Und auch wir haben sie, Lehrer und Lehrbücher.  Als die Präsidentin der nationalen Union der Deutschlehrer Kasachstans Nazym Dujsenowa an das Rednerpult trat hing ein weiteres Mal die ewige Frage im Raum: woher? Na von dort: alles aus genau diesen Schulen der Republik. Und wie viele Lehrer sind in der Union? Nicht gerade viele: irgendwas um die 80 Leute (das sind nur die, die eingeschrieben sind). Und wie viele sind es, die zu Englisch gewechselt haben, in andere Fächer, oder die Schule sogar ganz verlassen haben? Gibt es eine Reserve? Zweifellos.

Und wie soll man jetzt Deutschlehrer werden, wenn es in den Schulen, wenn es in den Schulen so armselig wenig unterrichtet wird? Bis vor kurzem hat man Absolventen mit Englisch überhaupt nicht in die deutschen Gruppen eingeteilt. Jetzt hat man auch diese Barriere aufgehoben, aber solche, die sich für diese Kombination entscheiden, sind nicht leicht zu finden. Aber immerhin gibt es auch noch solche Absolventen üblicher Schulen und Hochschulen, die Deutsch von Grund auf lernen und anschließend unterrichten wollen.

In vielerlei Hinsicht könnte das Problem Zuschüsse lösen, die uns großzügigerweise von Deutschland gegeben werden. Könnte, aber bis jetzt hat das noch nicht geklappt. Zuschüsse werden gleichberechtigt an die Hochschulen verteilt, beinahe ohne Rücksicht auf den Bedarf und gehen oft nicht an die spezifischen Stellen.

Zum Thema Lehrbücher wurden auf der Konferenz zwei Lösungen angeboten. Die erste: Vorübergehend wird dem Beispiel der Schulen gefolgt, die bereits jetzt mit den Lehrbüchern deutscher Verlage unterrichten, eine intellektuelle „Allergie“ wird niemand erleiden. Die zweite Variante: eine Arbeitsgruppe zur Förderung von Programmen und Lehrbüchern für Deutsch einrichten und ihr ab dem 1. September 2019 alles Notwendige für die Schulen des Landes zu erteilen.

Es scheint, als hätte Bismarck gescherzt: „Auf Englisch muss man sich mit Diplomaten unterhalten, auf Französisch mit den Damen, und auf Deutsch mit den Pferden“. Wir verzeihen Otto Eduard Leopold von Bismarck, dem ersten Kanzler des Deutschen Reiches eine solche Freizügigkeit. Und stellen etwas richtig: Deutsch: das ist die Sprache der Ingenieure und Maschinenbauer, der Stars der weltweiten Medizin und Wissenschaft.

Der Fakt ist unbestreitbar, er widerspricht nicht der Wahl von beispielsweise Englisch in der Triade des Sprachunterrichts unseres Landes. Aber er erinnert uns auch daran: wenn du echtes Wissen willst und ein Diplom, welches zur Eintrittskarte in jedes beliebige Land der Erde wird: lerne Deutsch. Und im heimischen Kasachstan gehst du mit solchem Wissen auch nicht unter. Deutschland ist heute eines der wenigen Länder der Welt, welches die klassische Form der Bildung für die verschiedensten Berufe bewahrt hat. Die Professur ist eine der besten der Welt, mit ihr besteht die Möglichkeit auf eine sehr hohe Arbeitsvergütung. Lernen ist anstrengend, aber dafür kostenlos. Es werden Semesterbeiträge fällig, allerdings sind die nicht mal annähernd zu vergleichen mit den Kosten für das Studium in irgend einem andern Land der Welt, mit der Ausnahme Österreichs. Dort herrschen analoge Bedingungen. Und dort wird Deutsch gesprochen, wenn ihr euch erinnert.

Wie Albert Rau in seiner Ansprache anmerkte: „Wir sind praktisch an einem Punkt ohne Wiederkehr angekommen, am äußersten Punkt, wo wir alleine schon nicht mehr handeln können, ohne die Zusammenarbeit mit allen dafür verantwortlichen Strukturen. Wenn wir nicht heute unsere Anstrengungen für die Wiederbelebung der Tradition des Deutschunterrichts in Kasachstans verstärken, verlieren wir sie für immer. Wir müssen der deutschen Sprache eine Chance geben“.

 

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