Meiramgul Ramazanova: „In einem entwickelten Land sollte nicht nur eine Fremdsprache unterrichtet werden“

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In den meisten kasachischen Schulen wird nur eine Fremdsprache erlernt, nämlich Englisch, was natürlich einige Fragen aufwirft und Verwirrung auslöst, vor allem über eine solch ziemlich rare Auswahl

Die moderne Gesellschaft braucht dringend ausgebildete Fachkräfte mit bestimmten Talenten, wichtigen Fähigkeiten und zweifellos einer breiten Perspektive. Gleichzeitig ist die derzeitige Schulbildung – ein Element der „Soft Power“ – teilweise absolut einseitig: Sie bietet beispielsweise die Möglichkeit, im Grunde nur eine Fremdsprache zu erlernen. Obwohl andere Sprachen bei unseren Schülern nicht weniger gefragt sind.

Hier müssen wir uns daran erinnern, dass es zu Zeiten der Sowjetunion möglich war, den Unterricht in Deutsch, Französisch und gleichzeitig Englisch vollständig zu kombinieren. Nehmen wir jedoch die heutige Zeit: Europäische Schulkinder sind viel erfolgreicher als ihre kasachischen Altersgenossen, weil die Schulprogramme von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland usw. Mehrsprachigkeit begrüßen. Im Allgemeinen wird in der Europäischen Union der Bildungsprozess mit einer langfristigen Perspektive angegangen, und daher ziehen sie es vor, das Vernünftige, Freundliche, Ewige in mehreren Fremdsprachen zu säen, zusätzlich natürlich zu ihrer Muttersprache. Schließlich ist Mehrsprachigkeit ein Vorteil, der in der heutigen Zeit im Vordergrund stehen sollte.

Über die aktuellen Probleme der kasachischen Bildung und die Folgen ihrer radikalen Erneuerung sprach ich mit Meiramgul Ramazanova, einer Lehrerin mit dreißigjähriger Erfahrung, einer leitenden Lehrerin des Bildungsprogramms „Eine Fremdsprache – Zwei Fremdsprachen“ der Pädagogischen Universität Pawlodar, als Deutschlehrer in der Pawlodarer Regionalen Gesellschaft Wiedergeburt“.

– Meiramgul Abaevna, wodurch und wo ist Ihre Liebe zur deutschen Sprache zum ersten Mal entstanden?

– Ich wurde in der Stadt Semipalatinsk geboren, – heute: Semey, – dann lebte ich lange in der Region Tselinograd. Dort, im Bezirk Seletinsky, gab es ein Dorf namens Kvartsytka, in dem viele Deutsche lebten. Nun sind viele von ihnen bereits abgereist. In der Dorfschule wurde die deutsche Sprache von einer sehr kompetenten, aber strengen Lehrerin Eleonora Bogdanovna Lebzak unterrichtet, die jetzt in Deutschland lebt. Ich erinnere mich, wie Eleonora Bogdanovna immer schön und einfach makellos aussah und bei uns Studenten definitiv Bewunderung erregte. Vielleicht entstand in mir die erste Liebe zur deutschen Sprache schon in der Schule. Nach dem Abitur habe ich mich zunächst für eine andere Fachrichtung entschieden, bin dann aber nicht angetreten. Ein Jahr später riet mir meine Mutter, nach Pawlodar zu fahren und mich dort beim Pädagogischen Institut für die Fachrichtung Deutsch einzuschreiben. Infolgedessen wurde ich dann 1990 immatrikuliert, obwohl die Konkurrenz ziemlich groß war, ich studierte vier Jahre lang … Und die wahre Liebe zur Sprache von Goethe und Schiller kam zu mir, als ich 1995 nach Deutschland reiste. Ich war dort für ein Jahr im Rahmen eines Au-Pair-Programms, um meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Nach dem Studium arbeitete ich als Übersetzerin und sah letztendlich meine Schwächen. Deutschland hat mir die Möglichkeit gegeben, mir die deutsche Sprache perfekt anzueignen. Ich habe die deutsche Kultur besser kennengelernt und mich in dieses Land verliebt. Aber ich wollte dort nicht bleiben und kehrte nach Hause zurück. In Pawlodar arbeitete ich weiterhin als Deutschlehrerin an einer Schule, einem Kolleg, einem Lyzeum und ab Ende der 90er Jahre an einer Universität. Zuerst unterrichtete ich hauptsächlich Deutsch, aber leider stellte sich heraus, dass diese Sprache ihre früheren Positionen in Kasachstan verloren hat. Momentan wird die deutsche Sprache an unserer Hochschule nur als zweite Fremdsprache angeboten.

– Was denken Sie über diese grundlegenden Veränderungen?

– Ich denke, dass in einem entwickelten Land nicht nur eine Fremdsprache unterrichtet werden sollte. Es ist notwendig, sowohl Kindern als auch Eltern das Wahlrecht zu geben. Schließlich haben sie früher in Bildungseinrichtungen Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch gelernt. Und es gab keine Probleme beim Erlernen dieser Sprachen. Und jetzt stellt sich heraus, dass unser Land nur englischsprachige Spezialisten schult. Zudem ist Kasachstan ein Vielvölkerstaat, Deutsch ist für viele die Muttersprache.

– Was finden Sie besonders traurig?

– Die deutsche Sprache ist ein Klondike verschiedenster Möglichkeiten. Ich habe einmal in der internationalen Abteilung der Innovative Eurasian University (ehemals PAU) gearbeitet, und so haben wir dann ständig Studenten mit verschiedenen Deutschlandstipendien zur Ausbildung und Praktikum nach Deutschland geschickt. Sowohl Ingenieure als auch Wirtschaftswissenschaftler wurden zum Studium dorthin geschickt. Schade, dass diese Möglichkeiten von kasachischen Studierenden ungenutzt bleiben. Ich denke, man kann nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen, und somit die deutsche Sprache und die damit verbundenen Studienperspektiven nahezu lahmlegen.

– Wie kamen Sie zur “Wiedergeburt”?

– Das ist eine ziemlich interessante Geschichte. Übrigens, in diesem Jahr bin ich bereits 25 Jahre bei der Pawlodarer Regionalen Gesellschaft “Wiedergeburt“ dabei. Im Januar 1997 fand in unserer Stadt eine Bewerbungsveranstaltung statt – es wurden Lehrer für Deutschkurse gesucht. Damals hatte man erst damit begonnen und sie hießen damals noch „Botschaftskurse“. Sprachassistentinnen gab es damals in Pawlodar: Ursula Brengel und Marion Grefe. Sie sammelten alle Lehrer, testeten uns, also wählten die besten aus. Daraufhin riefen sie mich an, sagten mir, dass ich den Test sehr gut bestanden hätte und wurden zur Arbeit eingeladen. Seit Januar 1997 unterrichte ich Kurse für ethnische Deutsche. Wiedergeburt ist meine zweite Familie. Von 1998 bis 2007 war ich Kuratorin der Kurse: Ich leitete Seminare, bildete aus, organisierte Veranstaltungen. Wann immer es möglich ist, nehme ich an verschiedenen Wettbewerben und Schulungen teil. 2019 nahm ich beispielsweise am VII. Allrussischen Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“ teil, belegte den dritten Platz bei der Nominierung journalistischer Arbeiten. Als Belohnung wurde ich für eine Woche nach Moskau eingeladen. 2020 wurde ich Finalist des II. Republikanischen Wettbewerbs „Deutsch im Herzen“ und wurde zu einer feierlichen Veranstaltung in Nur-Sultan eingeladen. Ebenso war ich mehrfach Stipendiatin des Goethe-Instituts: 2012 reiste ich nach Deutschland, 2018 nach Ungarn. Unter anderem versuche ich regelmäßig, an nationalen und regionalen Seminaren teilzunehmen.

– Welche Initiativen könnten Ihrer Meinung nach das Ansehen der deutschen Sprache in Kasachstan steigern?

– Ich glaube, dass es in allgemeinbildenden Einrichtungen notwendig ist, Deutsch zumindest als zweite Fremdsprache einzuführen. An deutschen Schulen wird beispielsweise Englisch als Hauptfremdsprache unterrichtet, die Kinder erhalten dann aber das Recht, eine zweite, dritte Fremdsprache zu wählen. Der Appetit kommt mit dem Essen: Viel hängt vom Lehrer selbst ab, von seiner Fähigkeit, den Schülern Deutsch beizubringen, sie mit der Kultur Deutschlands vertraut zu machen, ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen, die sich beim Deutschlernen eröffnen. Wenn der Lehrer den Unterricht mit Seele leitet, dann kommt die Liebe zur Sprache von alleine. Ich möchte hinzufügen, dass es immer noch Spezialisten im Land gibt: Es gibt auch ältere Lehrer, aber der letzte Abschluss der Deutschlehrer an unserer Universität war 2017, das heißt, es ist nicht viel Zeit vergangen, seitdem wir neue und junge Vertreter bekommen haben.

– Der serbische Schriftsteller Milorad Pavic sagte: „Handlungen im menschlichen Leben sind wie Essen, und Gedanken und Gefühle sind wie Gewürze. Es wird schlecht für jemanden sein, der Kirschen salzt oder Essig auf einen Kuchen gießt“. Geben Sie Pavic Recht?

– Dieses Zitat höre ich zum ersten Mal .. sehr interessant. Da muss ich Milorad Pavic eher zustimmen. Wir entscheiden selbst, wie wir unser Leben würzen, nicht wahr? Jeder Mensch entscheidet unabhängig, wie „fein“ sein Schicksal sein wird. Handlungen machen unseren Charakter und unser Wesen aus. Daher ist es notwendig, sich darum zu bemühen, dass alle unsere Handlungen nur zu positiven Ergebnissen führen, um nicht nur den Geschmack unseres Lebens, sondern auch des Lebens anderer Menschen nicht zu verderben. Ich versuche, Deutsch so zu unterrichten, damit die Teilnehmer nicht nur nach einem Zertifikat kommen und danach sofort verschwinden, sondern dass sich die Menschen in die Sprache, Traditionen, Bräuche und die deutsche Kultur verlieben.

– Vielen Dank für das Interessante Gespräch!

Marina Angaldt

Übersetzung: Manuel Gross

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