Rauza Musabaewa: „Es ist an der Zeit, ein Großes Deutsch-Kasachisches Wörterbuch herauszugeben“

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Rauza Musabaewa, Pädagogin, Journalistin und Übersetzerin von Büchern aus dem Deutschen ins Kasachische, spricht über ihre grenzenlose Sympathie für die Sprache von Schiller und Goethe, die Schwierigkeiten beim Übersetzen und die Kuriositäten in der heutigen Bildung.

Gelehrt, talentiert, aufmerksam auf die kleinsten Details, mit einer besonderen, vorsichtig neugierigen Haltung gegenüber deutschsprachigen Autoren und der deutschen Kultur im Allgemeinen, ist Rauza Musabaewa davon überzeugt, dass ihr Wegweiser durch das Leben die unbesiegbare kraft der Leidenschaft für ihre geliebte Arbeit ist. Die Pädagogin, Mitglied des Verbandes der Journalisten der Republik Kasachstan und Übersetzerin auf internationalem Niveau Rauza Moldaewna besitzt ein phänomenales Gedächtnis, dem Genialität gegenübersteht – sie kennt die Werke von Goethe, Schiller, Lessing und Heine auswendig. Als Inspirationsquelle dienen ihr die Klassiker, zum Beispiel V. Bredel, sowie zeitgenössische Autoren, darunter die Russlanddeutschen J. Schlejcher, K. Drojt, Ch. Klajn, Edit Schmitz, Kornelius Petkau, Sofija Bondar usw.

Die professionelle Arbeit von Rauza Musabaewa umfasst eine riesige Auswahl von Übersetzungen verschiedener Werke und unterschiedlicher Genres aus dem Deutschen ins Kasachische: zwanzig Kriminalgeschichten deutscher Autoren, zweiunddreißig deutsche Kindermärchen, viele Kurzgeschichten, Geschichten aus dem Leben wunderbarer Menschen, Materialien mit Bildungscharakter und Satire. Insbesondere übersetzt Rauza Moldaewna Artikel aus den Zeitschriften „Vitamin.de“ und „Schrumdirum“, die in der republikanischen Zeitschrift „Abaj“ erscheinen. Außerdem übersetzt sie auch aus dem Russischen Geschichten ins Kasachische.

Wie die Übersetzerin selbst bekräftigt, ist es ihre Aufgabe, der breiten kasachischen Leserschaft möglichst viele Interessante und faszinierende deutschsprachige Werke zu erschließen, dabei den Text so genau wie möglich zu vermitteln und den Leser in die bizarren Geflechte spannender Erlebnisse, die die Geschichte durchsetzen, sowie ihn in die Traditionen und Ästhetik der deutschen Kultur eintauchen zu lassen.

Im Jahre 200 nahm Rauza Moldaewna an dem Projekt des Goethe-Instituts „Stufen der Übersetzung“ teil, erhielt ein Stipendium für einen Aufenthalt an der Berliner Sommerakademie und gewann in den Jahren 2011, 2015 und 2018 gleich drei Mal das renommierte Schweizer Stipendium der „Stiftung Loren“. Im Auftrag des Unternehmens „GoldCinema“ übersetzte sie vier Dokumentarfilme aus dem Deutschen. Im Jahr 2018 wurde in der Schweiz ein Dokumentarfilm über das weltberühmte Haus der Übersetzer am Zürichsee gedreht – darin zu sehen war, neben anderen professionellen Übersetzern der Belletristik aus der ganzen Welt, auch Rauza Moldaewna. Im Jahr 2017 wurde mit Unterstützung des Goethe-Instituts sowie dem Almatiner Verlag „Атамұра“ eine Sammlung moderner deutscher Märchen mit dem Titel „Таңғажайып глобус“ („Zauberkugel“) herausgegeben. Aufgrund zahlreicher Anfragen junger Leser wurde die Sammlung im Jahr 2018 erneut herausgegeben.

Und erst vor kurzem hat Rauza Moldaewna an dem internationalen Wettbewerb „Spuren hinterlassen“ teilgenommen, bei dem sie den ersten Platz der Erwachsenen in der Nominierung „Künstlerisches Wort“ gewonnen hat. Sie hatte das Gedicht des deutschen Klassikers „Der Erlkönig“ von J. W. Goethe auswendig rezitiert.

– Rauza Moldaewna, im Jahr 2014 erschien mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland der von Ihnen in die kasachische Sprache übersetzte Roman der deutschen Schriftstellerin Eleonora Hummel „Die Fische Berlins“. Im Zentrum der Handlung steht das schwierige Leben der nach Kasachstan deportierten Deutschen…

– Ja, das stimmt. Im Jahr 2009 habe ich Eleonora Hummel in Berlin kennengelernt. Sie stammt gebürtig aus Kasachstan, aber sie noch zu Beginn der 1980er mit ihren Eltern nach Deutschland gezogen. Eleonora schreibt Bücher auf Deutsch, und an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, hat sie Auszüge aus ihrem Werk „Die Fische Berlins“ vorgelesen. Es ist ein Buch über das Schicksal der Wolgadeutschen, die nach Kasachstan vertrieben wurden. Der Stil des Romans gefiel mir sehr gut und habe beschlossen, an der Übersetzung zu arbeiten. Derzeit wird Eleonora Hummels zweiter Roman „Die Venus im Fenster“ – „Таң жұлдызы“aus dem Deutschen ins Kasachische übersetzt auf die Veröffentlichung vorbereitet.

– Wann ist die Liebe zur deutschen Sprache in Ihnen erwacht?

– In der Kindheit. Ich bin im Gebiet Semipalatinsk geboren – heute ist dies die Region Ostkasachstan. In unserer Straße im Dorf lebten praktisch nur Deutsche. Als ich zehn Jahre alt war, zogen meine Familie und ich in das Gebiet Pawlodar, in die Heimat meiner Mutter. Aber ich habe mein Dorf sehr vermisst, ich habe ständig an meine Freunde gedacht, die dortgeblieben sind, – Jetzt leben sie alle schon lange in Deutschland. Meine ältere Schwester – Orynbasar Krykbesowa – unterrichtete Deutsch und auch ich hatte ein wahnsinniges Verlangen nach dieser Sprache. Ich erinnere mich, dass wir Zeitungen und Kinderzeitschriften auf Deutsch abonniert hatten, – ab der fünften Klasse habe ich diese wie im Rausch verschlungen. Ich habe die deutschen Klassiker geliebt, die Gedichte, ihre Dichter, obwohl ich an einer Schule mit Unterricht in kasachischer Sprache gelernt habe. Es war mein Traum, Deutschlehrerin zu werden, also bin ich auf das Pädagogische Institut für Fremdsprachen in Almaty gegangen – heute ist das die Universität für Internationale Beziehungen und Weltsprachen namens Abylay chan. Als mein Vater starb, bestand meine Mutter darauf, dass ich nach Hause zurückkehren würde. Ich habe einen Job als Lehrerin an einer Schule bekommen, habe geheiratet und Kinder bekommen. Aber ich habe weiterhin deutsche Publikationen abonniert und habe begonnen, daraus Kurzgeschichten, Notizen und Anekdoten ins Kasachische zu übersetzen. Danach habe ich angefangen, ein bisschen zu publizieren und als Journalistin zu arbeiten.

– Sie geben heute, neben der übersetzerischen und der journalistischen Arbeit, auch Deutschkurse in der Gesellschaftlichen Vereinigung der Deutschen „Wiedergeburt“ Pawlodar in Ekibastuz, richtig?

– Ja, ich unterrichte sozusagen Deutsch für die dritte Generation deportierter Deutscher. Tagsüber arbeite ich im Akimat als Übersetzungslektorin, abends gebe ich Kurse. Ich liebe es, die Sprache von Schiller und Goethe zu unterrichten, ich singe auch deutsche Volkslieder, – in der Zeit vor Covid bin ich oft zusammen mit den Deutschen der „Wiedergeburt“ auf verschiedenen Veranstaltungen aufgetreten. Würde die deutsche Sprache noch in den Schulen unterrichtet werden, würde ich ohne Zögern Deutschlehrerin werden. Ich denke, dass diese Sprache unbedingt wieder in das Bildungssystem der Schulen zurückgebracht werden sollte.

– Als zweite Fremdsprache?

– Definitiv. Deutsch ist eine der fünf beliebtesten Sprachen in Europa, es steht an den Wurzeln der weltweiten Wissenschaft, der Kunst und der Literatur. Das sind Lilienthal, Diesel, Daimler, Einstein, Planck, Koch, Bach, Beethoven, Händel, Goethe, Schiller, Grimm, Heine, Wagner, Mann…

Es kommt vor, dass man abends von der Arbeit nach Hause geht, zu Fuß, und leise Gedichte und Poeme auf Deutsch aufsagt, weil diese so schön sind! …Als Übersetzer von Belletristik kann ich sagen, dass es in unserem riesigen Land, welches in Bezug auf sein Territorium den neunten Platz in der Welt belegt, kein Großes Kasachisch-Deutsches oder Deutsch-Kasachisches Wörterbuch gibt. Wie kann das sein? Solche Wörterbücher wurden zum letzten mal im Jahr 1992 herausgegeben und es sind dünne Bücher. Auf was stützen sich die Lehrenden, die Studenten auf den Beruf des „Übersetzers“ vorbereiten? Ich meine besonders den kasachischen Bereich. Ich glaube, dass Wörterbücher lebenswichtig sind. Es ist an der Zeit, ein Großes Kasachisch-Deutsches und Deutsch-Kasachisches Wörterbuch zu erstellen und zu veröffentlichen! Und daran sollte zunächst einmal das Bildungsministerium selbst interessiert sein… Bevor ich nach Zürich gefahren bin, wurde ich gebeten, ein kasachisch-deutsches Wörterbuch mitzubringen. Stellen Sie sich vor: es gibt dort eine enorme Bibliothek mit einer Unmenge an Wörterbüchern aller Art in den verschiedensten Sprachen der Welt, und ich musste eine dünne Veröffentlichung aus dem Jahr 1992 verschenken. Im Regal steht zum Beispiel ein dickes Spanisch-Deutsch-Wörterbuch und direkt daneben unser kleines Büchlein… Im vergangenen Jahr habe ich unter Leitung des Goethe-Instituts zusammen mit fünf anderen Übersetzern der Belletristik Gedichte junger deutscher Autoren bearbeitet und ihre Werke aus dem Deutschen ins Kasachische übersetzt. Ohne Wörterbücher ist das sehr schwierig – oft muss man erst ins Russische und dann ins Kasachische übersetzen, also Doppelarbeit leisten. Jetzt haben wir vier kasachische Jungautoren ausgewählt und übersetzen ihre Gedichte ins Deutsche, wiederum über den Umweg des Russischen…

Marina Angaldt

Übersetzung: Philipp Dippl

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