Der 31. Mai – Tag des Gedenkens an die Opfer politischer Repressionen Zurück Veröffentlicht in Juni 1, 2022August 14, 2022 Hunderttausende Leben, „spurlos verschwunden und unschuldig gestorben“, ausradiert von einer furchterregenden Macht unter der Devise „Teile und herrsche“. Die massenhaften Repressionen der 1930er und 1940er Jahre, die die Verbindung zwischen Verwandten und die Verbindung zwischen den Zeiten aufbrachen, wurden zum Wendepunkt, an dem die menschliche Logik in Stücke gerissen wurde. Das Stockholm-Syndrom, ein Terminus, der erst lange nach den stalinistischen Repressionen auftauchte, aber unglaublich genau den Zustand ihrer Opfer beschreibt, die von einem ungerechten Leben getroffen wurden. In den Häusern derer, die die Lager des GULAG durchliefen, befanden sich oft die Portraits von Stalin, einem der Hauptinitiatoren der erbarmungslosen Repressionen. Anführer, nicht Henker. Selbstaufopferung als Folge, nicht als Ursache. – In der deutschen Abteilung der Schule der Nationalen Wiedergeburt fand eine Unterrichtsstunde zum Thema „Tag des Gedenkens für die Opfer politischer Repressionen“ statt, an der auch die Veteranen der deutschen Gesellschaft Emilja Aleksandrowna Djatschkowa und Tselestina Jakobna Lutsenko teilnahmen und ihre Erinnerungen an die Deportation teilten. So wuchs zum Beispiel Tselestina Jakobna als Waise auf, sie wurde in einem Waisenhaus aufgezogen. Ihre Eltern gerieten in die Arbeitsarmee und verschwanden dort, sie kamen nie zurück. Und Emilja Aleksandrowna – eine Wolgadeutsche, war zum Zeitpunkt der Deportation neun Jahre alt. In ihrer Kindheitserinnerung blieben selbst die kleinsten Details dieser schrecklichen Zeit erhalten: wie sie überleben mussten und, sowohl die Kinder, als auch die Erwachsenen, buchstäblich die Zähne zusammenbissen, – erzählt Walentina Kos, Deutschlehrerin in der Gebietsgesellschaft der Deutschen „Wiedergeburt“ in Pawlodar. – Wir haben mit den Jungs und Mädels darüber gesprochen, wie die Deutschen auf dem Territorium des Russischen Reiches gelandet sind, über die Einladung von Katharina II: – dies ist ein wichtiger Einschnitt in unserer Geschichte – und über die Besiedelung der Wolga-Region. Wir haben über den Fleiß der Deutschen gesprochen, über ihr Streben nach Ordnung und natürlich über den gnadenlosen Mechanismus der Repressionen selbst, der Mitte des 20. Jahrhunderts gegen die deutsche Bevölkerung angewandt wurde. Solange der Krieg nicht über das friedliche Leben hereinbrach, war alles verhältnismäßig gut. Aber dann war die Nationalität ein ausreichender Grund für die Deportation und die Verbannung in die Lager. Auch lernten die Teilnehmer der Unterrichtsstunde das Gemälde des Künstlers Bruno Dahl mit dem Titel „Deportation“ kennen. Die auf der Leinwand dargestellte Handlung vermittelt eine nervöse Situation: Menschen, Koffer, Waggons – offensichtlich eine Tatsachenfeststellung, die dieJungs und Mädels dazu veranlasste, eine einfache Frage der Pädagogin zu beantworten: „Was hat der Autor dargestellt?“ – Auf dem Bild ist der August 1941 zu sehen, der in Widerspruch mit elementarer Vernunft geriet. Beim Betrachten des Bildes fragen sich die Kinder zunächst: Wer sind diese Menschen, wohin gehen sie? Warum sind sie auf diese Weise angezogen, wo sind all ihre Sachen, warum sind es so wenige? Warum werden gewöhnliche, friedliche Zivilisten einem Konvoi zugewiesen? – merkt Walentina Kos an. – Nach der Besprechung der auf der Leinwand dargestellten Situation kamen alle zu dem Schluss, dass der Künstler den Prozess der Deportation beschrieben hat. Die sowjetischen Deutschen hatten nur eine einzige Chance zu überleben – sich in die Heizwagen und die Waggons für den Viehtransport zu setzen. Die „Unerträglichkeit“ der Situation wurde mit Hilfe von Repressionen „korrigiert“, die alle gleich machten: Alt und Jung. Die Verbannung, die Hunderttausende von Leben ruinierte – üblicherweise wurden jene, die so hart in den Minen und als Holzfäller arbeiteten, nicht einmal begraben – sie wurden einfach von Bulldozern in Gräben gerollt – gefolgt von einem abstoßenden ideologischen Etikett, welches an mehreren Generationen sowjetischer Deutscher haftete. Die Rehabilitation, die, wenn auch sehr spät, Anfang der 90er Jahre stattfand, war für viele eine Art frischer Luftzug: Wir sind nicht schuld!… Es ist gerade der Traum des Geistes, der Monster erschafft, daher ist es für die moderne Generation wichtig, eine einfache und offensichtliche Wahrheit zu verstehen: die Menschheit wird in eine Pattsituation geraten, wenn sie sich erlaubt, sich in eine gesichts- und seelenlose Masse zu verwandeln. Das durchdringende Virus in Form von Repression, das seinerzeit die sowjetische Gesellschaft traf, sollte nicht wiedergeboren werden. Der Konflikt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird immer bestehen, aber er beseitigt nicht die Notwendigkeit für objektives Denken und Mitgefühl. Glücklicherweise gibt es unter den heutigen Jugendlichen viele, die vernünftig in die Zukunft blicken, ohne die traurigen und bitteren Erfahrungen ihrer Vorfahren zu vergessen. – Vor ein paar Tagen sind wir in das Dorf Lugansk gefahren, wir haben dort ein Treffen mit den deutschen Jugendlichen der örtlichen Schule veranstaltet. Das Ziel dieser Reise war ein Informationsgespräch über die Jugendarbeit und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, wenn im Dorf eine Filiale des Klubs „Lenz“ gegründet werden würde, – sagt Roman Gebel, Koordinator der Jugendarbeit in der Gebietsgesellschaft der Deutschen „Wiedergeburt“ in Pawlodar. – Wir diskutierten das Programm zur Unterstützung der deutschen Ethnie auf dem Territorium Kasachstans und die Möglichkeit der Teilnahme an verschiedenen Projekten: zum Beispiel die Unterstützung von Studenten der „Avantgarde“ und die Aktivitäten der Klubs der deutschen Jugend; wir sprachen über Sommersprachforen und über noch viele andere Dinge, die für die Jungs und Mädels interessant und hilfreich sind. Am Ende der Veranstaltung gab es Teambuilding-Spiele, eine Tanzstunde und Teetrinken. Ich freue mich, dass die jungen Leute von heute das Interesse an deutscher Kultur und Tradition nicht verloren hat. Und die Frage nach der nationalen Identität stellt sich für sie im Großen und Ganzen nicht – die meisten Jungs und Mädels fühlen sich als ethnische Deutsche, sie erinnern sich an die Geschichte ihrer Vorfahren, sie haben eine aktive Lebensposition und brennen für die Jugendarbeit. Marina Angaldt Übersetzung: Philipp Dippl Поделиться ссылкой: