Igor Fel: „Jeder Mann muss in der Lage sein, seine Familie zu beschützen“

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– Igor Garrijewitsch, erzählen Sie von ihrer Familie.

– Die Eltern väterlicherseits sind Deutsche von der Krim. Mütterlicherseits Russen aus Krasnodar und der Baikalregion. Die Großeltern väterlicherseits starben in der Arbeitsarmee. Die Cousins und Cousinen haben sich in Petropawlowsk, Kokschetau und im Gebiet Akmolinsk niedergelassen.

Vom Vater blieb nach dem Krieg meine Urgroßmutter übrig, sie ging mit ihm nach Alma-Ata, als er 17 Jahre alt war. Der Vater starb sehr jung, mit 44 Jahren – er war von einer schweren Kindheit und permanenten Entbehrungen geprägt. Aber in diesen Jahren hat er es geschafft, sich mit seiner besten Seite zu etablieren. Eine technische Ausbildung, Zielstrebigkeit und eine kolossale Arbeitskraft ermöglichten es ihm, bis zum stellvertretenden Direktor des Vereins der Automobilwerkstätten aufzusteigen und als Direktor der Bauabteilung des Fleischkombinates zu arbeiten. Mama arbeitete als Baukostenkalkulatorin. Fast alle meine Verwandten sind auf dem Bau beschäftigt. Wie man so sagt, hatte meine Großmutter drei Söhne – zwei waren klug und einer war Sportler. Und der bin ich unter ihnen. Alle Übrigen der Familie Fel leben in Deutschland.

– Warum wurde gerade das Boxen zu ihrem Lebensinhalt?

– Ich liebe Sport seit der Kindheit. Was habe ich nicht alles ausprobiert, aber das Boxen hat alles überdauert. Die Eltern klapperten alle Städte und Dörfer der Sowjetunion ab, sie gingen zum Geld verdienen auch auf die Halbinsel Mangyschlak. Ihre ersten Autos und Datschen haben sie sich dort verdient. Und wir haben uns als Kinder so gut wie möglich unterhalten. Mangyschlak und Sportgruppen – das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wir waren von Steppen, Sanddünen, Schlangen und Skorpionen umgeben… Und davor mussten wir wegrennen und unsere physische Form entwickeln!

Ich erinnere mich, wie meine Tante mir Fußballschuhe kaufte, sie haben gerade einmal einen Monat gehalten. In Fußballschuhen muss man auf Rasen laufen, aber dort gab es das sogenannte Takir, fast so hart wie Asfalt, der schnell die Sohlen auffrisst. Im Jahr 1970 kehrten die Eltern nach Alma-Ata zurück, zu der Zeit war ich in der fünften Klasse. Hier entstand meine große Leidenschaft für Kampfsport und Hockey. So wie es vielen passiert, hat mich in der Kindheit irgendjemand geärgert, und ich musste auf mich aufpassen, ich ging zum Boxen. Danach ging es von Wettkampf zu Wettkampf durch die gesamte Sowjetunion.

– Erinnern Sie sich an ihren ersten Trainer?

– Natürlich, das ist Aleksandr Alekseewitsch Li, wohlverdienter Trainer der kasachischen SSR. Ich wünsche ihm alles Gute für die Gesundheit! Er hat mich großgezogen, hat mir eine gute Schule gegeben, und die Möglichkeit zu sportlichen Erfolgen heranzuwachsen und Autorität als Trainer zu erarbeiten.

– Über welche Charaktereigenschaften sollte Ihrer Meinung nach ein Sportler und Trainer verfügen?

– Die Symbiose Sportler und Trainer ist enorm wichtig. Ich sage meinen Schülern oft: „Für eure Resultate interessiere ich mich mehr als für alles andere, sogar mehr als für die Eltern, von ihnen hängt die Beziehung zum Trainer ab“.

Ein Sportler verdankt einen großen Prozentsatz seines Erfolges dem Trainer. Es gab Zeiten, da sind wir zu Wettkämpfen gefahren, und wir haben nur ein Bett für zwei Personen bekommen. Der Sportler wurde ins Bett gelegt, weil er am nächsten Tag boxen musste, und ich selbst habe mich auf einen kleinen Teppich auf den Boden gelegt. Gewöhnliche Personen werden keine Olympiasieger. Ein Trainer muss Ambitionen haben. Wenn du deine Arbeit ohne Feuer machst, wird es keine Resultate geben.

Meiner Meinung nach sind 90 Prozent des Erfolges von Wasili Zhirow der Verdienst seines Trainers Aleksandr Iwanowitsch Apatschinskij. Ja, der Gott hat Wasja mit ausgezeichneten physischen Voraussetzungen beschenkt, aber wie viel Anstrengung steckt dahinter? Ich hatte vier Infarkte, die alle auf Wettkämpfen „erarbeitet“ wurden. Manchmal sitzt du vor dem Ring, machst eine Pause und denkst, dass es einfacher ist, wegzulaufen und mit sich selbst zu kämpfen.

– Igor Garriewitsch, ihnen kam nie der Gedanke, selbst zu boxen?

– Schon während der Jugend, mit 15 oder 16 Jahren, habe ich sehr gut verstanden, dass ich Trainer werde. Die Eltern haben mir verschiedene Berufe vorgeschlagen, ich bin sogar nach Tomsk gefahren um an der physisch-technischen Fakultät der Universität zu studieren. Aber das war alles vorübergehend, weil ich meine Wahl nie angezweifelt habe.

– Und sie haben zuversichtlich ihre Ziele erreicht, haben das Kasachische Staatliche Institut für Körperkultur und Sport, die heutige Akademie für Tourismus und Sport, mit Auszeichnung abgeschlossen…

– Das ist richtig. Die Ausbildung war leicht, ohne irgendwelche besonderen Mühen. Ich bekam eine Familie. Meine Frau ist eine Klassenkameradin. Seit der 8. Klasse saßen wir auf der gleichen Schulbank. Und wir sind nach wie vor zusammen – 41 Jahre gemeinsames Leben. Wir haben zwei Kinder und fünf Enkelkinder. Der älteste von ihnen ist 19 Jahre alt, das jüngste eineinhalb Jahre. Der Sohn war Schwimmer. Dann wurde er neugierig auf die Jungs auf der Straße und ich sagte: „Genug, die Badehose kommt in die Tasche, morgen gehst du zum Boxtraining!“ Jetzt ist er Sportmeister und Meister Kasachstans, er hat ebenso das Institut für Körperkultur abgeschlossen, war in der Landesauswahl. Jetzt hat er ein eigenes Geschäft.

– Wollten Sie von Anfang an, dass ihr Sohn ein professioneller Sportler wird?

– Ich glaube, dass jeder Mann seine Familie, seine Frau, seine Kinder und sein Haus beschützen muss. Wir haben jetzt Zeiten, in denen einem nicht nur Fäuste begegnen, sondern auch Waffen. Glücklicherweise gibt es in unserem keinen freien Zugriff auf Waffen, aber die Halbstarken sind nicht weniger geworden.

Und im Allgemeinen hat sich die Gesellschaft verändert. Es gibt jetzt so viele gewissenlose Leute, die haben nicht einmal Angst davor, im Gefängnis zu landen. Früher war eine Strafe ein Makel für das ganze Leben. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen sind vom Geld verdorben.

– Viele ihrer Schützlinge haben große Resultate erreicht. Nennen Sie uns die talentiertesten?

– Man müsste alle erwähnen. Sie sind für mich wie meine eigenen Kinder. Ich kann niemanden hervorheben. Mich rufen sowohl internationale Sportmeister als auch Anfänger an. Mit allen halte ich Kontakt. Viele meiner Zöglinge sind Preisträger und Gewinner von Meisterschaften in Kasachstan, Asien und der ganzen Welt.

Als Kasachstan unabhängig wurde, hatte ich einen guten Sportler, der Deutsche Aleksandr Miller. Das ist die russische Umschreibung des Familiennamens Müller. So hat man das zu Sowjetzeiten geschrieben… ein Königreich des Himmels. Er war in der Jugendauswahl. Er wurde erster Asienmeister des souveränen Kasachstans. Ich will nicht bescheiden sein, er hat auch Zhirow ziemlich hart geschlagen, er hatte eine sehr gute Perspektive. Ein banaler Autounfall hat sein Leben beendet. Am Morgen sollten wir zum letzten Treffen vor der Weltmeisterschaft, und am Abend des vorherigen Tages hatte er mit seinen Freunden den Unfall. Fünf Personen waren im Auto. Alle überlebten, nur Sanja starb. So ist das Schicksal…

– Heute entwicklt sich das Boxen in unserem Land rasant im Gegensatz zu anderen Sportarten, es gibt große Unterstützung von Seite des Staates aus. Wie bewährt sich ihrer Meinung nach der kasachstanische Boxsport in der weltweiten Boxarena?

– Eine große Rolle in der Herausbildung des positiven Bildes im kasachstanischen Boxsport spielt schon seit vielen Jahren Gennadij Golovkin, zu dem ich große Sympathien empfinde. Die andere Frage ist: wie sieht das wietere Schicksal des weltweiten Boxsportes aus? Das ist bislang unbekannt. Heute spricht sich das internationale olympische Komitee gegen Boxen als olympische Sportart aus…

Igor Garriewitsch Fel ist wohlverdienter Boxtrainer der Republik Kasachstan, Mentor der Nationalauswahl der Republik Kasachstan, Träger des internationalen Trainerzertifikates AIBA und des Titels des besten Boxtrainers Kasachstans. Er hat eine große Anzahl an Meistern in internationalen Sportklassen, mehrfachen Meistern und Preisträgern Kasachstans und in internationalen Wettbewerben vorbereitet. Heute arbeitet er im Verein der verdienten Sportmeistern der UdSSR „Serik Konakbaew“.

Interview: Julija Milenkaja-Martin

Ubersetzung: Philipp Dippl

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