Schwer zu lernen, leicht zu üben

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Wie sich die Bewohner von Aktau in die deutsche Sprache verliebten.

Neulich konnte man an den (kasachstanischen) Ufern des Kaspischen Meeres Deutsch hören. Rund ein dutzend Kinder aus Aktau beschlossen mit ihren Eltern, einen Ausflug ans Wasser zu unternehmen und gleichzeitig das zu üben, was sie mehrere Monate lang einstudiert hatten.

Die Sache ist die, dass diese Jungs und Mädels Kursteilnehmer der Deutschkurse der Gesellschaft „Wiedergeburt“ Aktau sind. Trotz unterschiedlichen Alters und Nationalität vereinte alle die Liebe zu der Fremdsprache.

– Die Situation heute ist keine einfache, Sorge und Aufruhr herrscht in jeder Familie. Um irgendwie die Moral anzuheben, haben wir beschlossen, eine interaktive sonntägliche Unterrichtsstunde am Seeufer abzuhalten. Natürlich wurden alle Sicherheitsmaßnahmen eingehalten. Es waren Kinder verschiedener Altersstufen dabei – von fünf bis 11 Jahren. Wir haben Lieder gesungen, Gedichte vorgelesen und Geschichten auf Deutsch erzählt – erläutert die Kuratorin der Sprachkurse der „Wiedergeburt“ Aktau Luisa Eskerchanowa.

Die Kurse in der deutschen Gesellschaft wurden vor genau einem Jahr wiederaufgenommen. Wie sich herausstellte, ist Deutsch in dieser kleinen Stadt in Westkasachstan sogar sehr gefragt.

– Von den Pädagogen hängt es ab, wie gut ein Mensch das Fach erfasst. Mit Deutschlehrern hat Aktau ein Problem. Doch wir hatten Glück: Ende letzten Jahres haben wir eine wundervolle Lehrkraft gefunden. Jetzt drehen wir kleine Filmchen und lernen Lieder und Märchen auf Deutsch. Wir sind froh, dass die Kinder sehr aktiv dabei sind, durch sie können wir auch die erwachsene Bevölkerung heranziehen. Sozusagen bringen wir die Kultur zu den Massen, – merkt Luisa an.

Die ersten Schritte zur Wiederbelebung der Kurse waren nicht einfach. Mit der Zeit kamen die notwendigen Lehrmittel und Lehrbücher in die Gesellschaft. Und kürzlich erhielt die örtliche deutsche Gesellschaft Literatur von der Gesellschaftlichen Stiftung „Wiedergeburt“.

Vertraute Seele

Inzwischen besuchen rund 50 Menschen die Deutschkurse. Es könnten sogar mehr sein, aber das Coronavirus kam dazwischen. Der Unterricht wurde nicht abgesagt, sondern es wurden alle notwendigen Anforderungen getroffen, und so wurde im Juli auf das Online-Format umgestiegen. In der Gesellschaft hoffen allerdings alle, dass im September alles wieder zum gewohnten Ablauf zurückkehren wird.

Walentina Bernikowa hat die Hoffnung nicht verloren. Natürlich musste sie sich nun der neuen Realität stellen – um die Methodik des Fernunterrichts mittels der neuen Technologien in den Griff zu bekommen.

Alle in Aktau kennen die Deutsch- und Englischlehrerin. Und nicht nur in dieser Stadt: ihre Schüler arbeiten in der ganzen Welt und erinnern sich mit Dankbarkeit an den Unterricht ihrer Lehrerin. Und für was ist sie berühmt? Dafür, dass Walentina Mitrofanowna 43 Jahre lang einer der Schulen Aktaus gedient hat.

Seit frühester Kindheit fühlte sich die gebürtige Woronescherin zur deutschen Sprache hingezogen. Seitdem sie die Schulbank drückte, übersetzte sie Texte und las die deutschen Klassiker in der Originalsprache. Zur Selbstentwicklung. Ihr gefiel doch die Kultur des deutschen Volkes und ihre Sprache so sehr. Dort, in Woronesch, schloss sie die Hochschule ab, an der sie romanische und germanische Philologie studierte. Und im Jahr 1977 kam sie nach Aktau (Schewtschenko).

– Hier gab es eine starke Szene im Bereich der deutschen Sprache. Praktisch in jeder Schule wurde es unterrichtet. Die Jungs und Mädels aus Aktau waren stets unter den Gewinnern bei landesweiten Spracholympiaden. Nach 2005 ging die Tendenz zum Englischen über, – erinnert sich Walentina Bernikowa.

Seit dem letzten Jahr werden Kursteilnehmer, die die Sprache Goethes erlernen möchten, in vier Gruppen eingeteilt: Kinder, die nicht auf Deutsch lesen können, etwas ältere Kinder, die mit der deutschen Literatur vertraut sind, Jugendliche und Erwachsene. Und Walentina Mitrofanowna schafft es nicht nur, auf alle zu achten, sondern findet auch noch Zugang zu jedem einzelnen.

– Eine Sprache muss so eingeübt werden, dass mehr auf ihr gesprochen wird. Meine Schüler werden selbst kreativ – sie filmen Videos und schlagen interessante Projekte vor. Sehr gut laufen bei uns die Lieder auf Deutsch. Leider konnten wir wegen des Coronavirus nicht alle Veranstaltungen durchführen, die wir geplant hatten, aber wir verzweifeln nicht und setzen den Unterricht online fort. In eineinhalb Stunden schaffen wir es, die Hausaufgaben zu kontrollieren und ein neues Thema zu erschließen. Die Jungs und Mädels haben einen guten Anreiz – viele wollen in Deutschland studieren, – merkt Walentina Mitrofanowna an.

Der Vater für den Sohn

Aber für was braucht ein Hafenarbeiter oder ein Seemann die deutsche Sprache? Schließlich ist bekannt, dass sie „auf See“ hauptsächlich Englisch sprechen. Noch vor ein paar Jahren kannte Eduard Wejdenbach die Sprache seiner Vorfahren nicht. Er lernte Französisch in der Schule, und auf der Arbeit reichte ein umgangssprachliches Englisch aus. Heute allerdings besucht der 47-jährige Bewohner von Aktau die Kurse der Gesellschaft „Wiedergeburt“ mit großer Freude:

– Vor ein paar Jahren erklärte mir mein jüngster Sohn, dass er in Deutschland studieren will. Das erste, was man dazu braucht, ist, die Sprache zu kennen! Ich habe beschlossen, ihn in seinem gesteckten Ziel zu unterstützen und zusammen mit ihm mit den Grundlagen anzufangen.

Der Weg von Eduard und Kirill Wejdebach begann damit, sich die verschiedenen Deutschkurse anzuschauen, und anschließend gingen sie zusammen in das deutsche Zentrum. Es gefiel ihnen und sie blieben. Jetzt kommen sie zusammen in die Unterrichtsstunden.

– Die Lehrerin macht süchtig. Sie hat ein ganz besonderes Charisma und eine besondere Energie. Sie möchte alle Geheimnisse der Sprache erschließen. Sie findet einen Zugang sowohl zu den Kindern, als auch zu den Erwachsenen, – teilt Eduard mit.

Der Zehntklässler Kirill träumt von einer Karriere als Jurist. Das wird ihm gelingen – er hat den geeigneten Charakter: zielgerichtet, ruhig, besonnen.

– Das Studium in Deutschland ist nicht nur ein Traum, es ist das Ziel, das ich anstrebe! Unsere Verwandten leben dort, aber wir waren noch nicht in unserer historischen Heimat. Je interessanter es wird, desto mehr Anreiz gibt es. Deutsch ist nicht so furchtbar schwer, und daheim übe ich mit dem Vater – wir versuchen, auf Deutsch zu reden, – erzählt Kirill Wejdenbach.

Konstantin Sergeew

Übersetzung: Philipp Dippl

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